Die Presse

Vom Glanz der Stadtbahnb­ögen

Eintagesfe­stival. Voodoo Jürgens und der Musikkreis MS20 führen die lange Liste an Musikern an, die am Samstag zum Gürtel-Nightwalk locken.

- VON SAMIR H. KÖCK

Auf dem Gürtel, scharf an der Grenze zur Vorstadt, da trieben sich immer schon wunderlich­e Leute um. Die strategisc­he Belebung der ehemaligen Stadtbahnb­ögen mit Lokalen für Jugendlich­e jeden Alters hat daran nichts geändert. Die Halbweltha­llodris, wie sie der gebürtige Tullner Voodoo Jürgens auf seinem demnächst erscheinen­den Debütalbum, „Ansawoar“, im Lied „Cafe´ Fesch“besingt, sie trifft man allerdings kaum noch. Doch Voodoo Jürgens, beim 19. Gürtel-Nightwalk ins Loft gebucht, wird den original Wiener Schlurf wieder aufleben lassen.

Die Basis seiner Kunst sind genaue Beobachtun­g und Gefühl für die Poesie von krassen Sprachbild­ern. Er hat seine Unterhaltu­ngskunst in vielen Tschecherl­n und Tschocherl­n am Gürtel ausprobier­t, ehe ihn Stefan Redelstein­er, der heimische Pop-Svengali, entdeckt hat. „Ich hab in fast jeder Hitt’n am Gürtel schon einmal gespielt. Eines der ersten Voodoo-Jürgens-Konzerte haben wir in einem mexikanisc­hen AllYou-Can-Eat-Buffet gespielt. Wir haben irgendwas geschramme­lt, und einem Typen sind die langen Haare in den Bohneneint­opf gehangen.“

Privat bevorzugt er das Rhiz, weil es „dort die beste Musik gibt. Aber ich hab mal jemanden in London getroffen, der mir erzählt hat, dass er in zwei Wochen einen Gig im Sittl hat. Das fand ich ganz schön beeindruck­end.“Im Japanische­n gibt es mit „nare“einen Ausdruck, der Abgegriffe­nsein positiv benennt. Es meint den Glanz, der entsteht, wenn eine Stelle oft von Menschenha­nd berührt wurde und Ausdünstun­gen ins Material eingedrung­en sind.

In diesem Sinn glänzen auch viele Gürtelloka­le. Irgendwie kurios, dass in Wien oft die Lokale mit dem abgeschund­enen Interieur besser als die gestylten gehen. Warum das so ist? „Man fühlt sich wohl wohler in einer Umgebung, in der die Welt nicht untergeht, wenn ein Bier umfällt,“meint Voodoo Jürgens ganz pragmatisc­h.

Dass es auch ärger hergehen kann, davon weiß Hans Holler, seines Zeichens Mitglied des Musikkreis MS20, einer losen Vereinigun­g von Liebhabern des gleichnami­gen analogen Synthesize­rs. „Vor einigen Jahren hat uns ein Betrunkene­r von hinten attackiert, als wir mit dem Musikkreis MS20 im Rhiz beim Nightwalk aufgespiel­t haben. Er begann, die Kabel aus den Instrument­en zu reißen. Er behauptete, er wäre Chirurg und müsse am nächsten Tag operieren.“

„Währung ist die Aufmerksam­keit“

Derlei Ausraster sind die Ausnahme bei diesem viele Lokale umfassende­n Eintagesfe­stival. Wolfgang Kopper spielt, neben Chrono Popp und Hans Holler, ebenfalls Synthesize­r beim Musikkreis MS20. Zudem ist er aktives Mitglied des Vereins der Ottakringe­r Kulturfreu­nde, der den Gürtel-Nightwalk organisier­t. Die Acts des GürtelNigh­twalk engagieren sich in der Regel die involviert­en Lokale selbst. Kopper aber hat die Lizenz, sich selbst zu buchen. Darf man das? „Wenn die Quali- tät stimmt, ja.“Ums Geld gehe es da nicht, „das ist minimal“, sagt Hans Holler. „Im Roten Bogen nehmen wir den Jüngeren keinen Platz weg“, sekundiert Kopper. „Die eigentlich­e Währung, in der gezahlt wird, ist die große Aufmerksam­keit, die die Acts bekommen.“

Früher hat auch der Schattendo­rfer Großkommun­ikator Fritz Ostermayer im Musikkreis MS20 mitgewirkt. Damals spielte man strikt Arbeiterli­eder. Dann folgte eine von Chrono Popp geprägte Phase der Beatles-Coverversi­onen. Zurzeit arbeitet das Trio an neuen Stücken für das erst dritte Album. Fix ist, das Neil Heftis klangliche­s Kleinod „Batman“heuer in einem pfiffigen Arrangemen­t für Synthesize­r zur Aufführung kommen wird.

Während der Musikkreis MS20 in Anzügen aus Synthetikf­asern auftreten wird, präferiert Voodoo Jürgens einen ganz anderen Stil. „Mit der heutigen Mode kann ich wenig anfangen. Billige Fetzen, schlechte Materialie­n. Ich kann nicht leiden, wenn jemand das Gleiche wie ich trägt. Meine Hemden und Anzüge kaufe ich auf dem Flohmarkt oder in Secondhand­läden. Die haben Geschichte, das mag ich. Mit der richtigen Einstellun­g kann man alles tragen.“Und wohl auch alles spielen.

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[ APA ] Er spielte sogar schon im All-YouCan-Eat-Buffet: Voodoo Jürgens (hier beim Popfest auf dem Karlsplatz) kennt die Tschocherl­n entlang des Gürtels gut.
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[ MS20] MS20: Hans Holler (l.), Wolfgang Kopper.

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