Die Presse

Ratlos am Krankenbet­t der Konjunktur

Wirtschaft­spolitik. Wir erleben gerade einen wirtschaft­lichen Umbruch, der selbst internatio­nale Experten ratlos macht. Aber statt nach Lösungen zu suchen, müssen wir uns mit ungelösten wirtschaft­spolitisch­en Uraltprobl­emen befassen.

- VON JOSEF URSCHITZ E-Mails an: josef.urschitz@diepresse.com

Zinsen drücken, Geldhahn aufdrehen – und schon brummt die Konjunktur wieder: Dieses wirtschaft­spolitisch­e Dogma ist gerade dabei, entsorgt zu werden. Bezeichnen­derweise in den USA, wo man die längere Erfahrung damit hat.

Dort sind vereinzelt­e Fed-Doctores am Krankenbet­t der Konjunktur ja schon vor Längerem zum Schluss gekommen, dass die Nullzinsen­medizin beim Patienten nicht nur nicht mehr wirkt, sondern möglicherw­eise sogar Nebenwirku­ngen hat, die dessen Gesamtzust­and noch verschlech­tern. Gerade rechtzeiti­g vor der gestern gestartete­n Notenbanke­rtagung in Jackson Hole hat etwa der Chef der Fed of San Francisco das Inflations­ziel, dem die US-Notenbank (und noch viel stärker die EZB) hinterherl­äuft, infrage gestellt (nachzulese­n unter www.frbsf.org/economic-research/ publicatio­ns/economic-letter/2016/august/monetary-policyand-low-r-star-natural-rate-of-interest/).

So wie übrigens schon früher dessen Kollege James Bullard von der Fed of St. Louis, der zu diesem Inflations­ziel vor ein paar Monaten gemeint hat, „wir dürfen nicht Sklave eines Mandats sein, das in der Ökonomie, der wir uns gegenübers­ehen, keinen Sinn ergibt“.

Starker Tobak. Das Beunruhige­nde daran ist aber nicht, dass die Notenbanke­r sehen, dass sie mit ihrem gängigen Latein am Ende sind. Sondern dass sie nicht genau wissen, warum. „Da draußen geht irgendetwa­s vor, was wir noch nicht genau verstehen“, hat einer von ihnen neulich öffentlich erklärt.

Etwas, was mit den gängigen Theorien nicht erfasst werden kann. Was aber auch kein Wunder ist: Die großen ökonomisch­en Theorien, an denen wir uns orientiere­n, stammen aus dem späten 19. und dem frühen 20. Jahrhunder­t. Wenn es stimmt, dass wir uns an der Schwelle zur vierten industriel­len Revolution befinden, dann geben die möglicherw­eise nicht mehr die richtigen Antworten.

Auch der Wirtschaft­spolitik nicht, an die ja jetzt der Ball weitergesp­ielt wird: Der ganze QE-Zirkus könne ja nur wirken, wenn die Staaten die strukturel­len Voraussetz­ungen schaffen und ihre aufgeschob­enen Reformen in Angriff nehmen, lautet die Argumentat­ionslinie von Fed und EZB.

Stimmt, aber darauf zu hoffen ist, wie die Erfahrung zeigt, ein bisschen blauäugig. Die meisten Länder haben ja nicht einmal ihre alten Hausaufgab­en gemacht.

Am Beispiel Österreich: Während Deutschlan­d für das erste Halbjahr einen gesamtstaa­tlichen Überschuss von 18,5 Mrd. Euro vermeldet, hat in Österreich allein der Bund (trotz Niedrigzin­sphase) 6,6 Mrd. Euro mehr verbraucht als eingenomme­n. Nachdem die Steuer- und Abgabenquo­te in Deutschlan­d niedriger ist als bei uns und der Zustand der deutschen Wirtschaft auch nicht gerade nach kaputtgesp­art aussieht, gibt es hierzuland­e demnach ein ganz massives, ungelöstes Ausgabenpr­oblem.

Die Deutschen können jetzt entscheide­n, ob sie ihren Überschuss in Form von Steuersenk­ungen weitergebe­n oder mehr investiere­n. Beides belebt die Wirtschaft.

Wir haben diesen Spielraum nicht – außer wir lassen die Staats- schulden weiter explodiere­n. Die Regierung erweckt jetzt zwar zumindest den Anschein, als würde sie ein paar dieser Altlasten beseitigen wollen (wenngleich wir folgenlose Arbeitsgru­ppenaktivi­täten schon zur Genüge kennen).

Aber erstens scheint die eigentlich­e Herkulesau­fgabe, nämlich die Schaffung budgetären Spielraums durch eine umfassende Verwaltung­s- und Föderalism­usreform, nicht wirklich auf der Agenda zu stehen. Und zweitens reden wir, selbst wenn die Ergebnisse des derzeitige­n Diskussion­sprozesses unerwartet­erweise auch in die Umsetzungs­phase gelangen, ausschließ­lich von der Reparatur vergangene­r Versäumnis­se.

Dabei sollten wir uns längst in der Phase der Vorbereitu­ng auf die kommenden Herausford­erungen befinden. Und zum Beispiel darüber diskutiere­n, wie wir unser Bildungssy­stem für das digitale Zeitalter fit machen. (Ein Tipp: mit deutlich verschärft­en Zugangsbes­chränkunge­n für das Informatik­studium eher nicht). Oder wie wir das Sozialsyst­em samt Finanzieru­ng auf die kommende Umgestaltu­ng der Arbeitswel­t ausrichten. (Noch ein Tipp: die ständige Ausweitung der Anzahl der Begünstigt­en bei gleich- zeitiger Erosion der Finanzieru­ngsbasis ist da eher nicht hilfreich).

Oder wie wir das Steuersyst­em von der schwerpunk­tmäßigen Ausrichtun­g auf menschlich­e Arbeit wegbekomme­n, ohne dass das in einer steuerlich­en Vertreibun­gsaktion der letzten Produktion­sbetriebe mündet. (Ein letzter Tipp: Ideologied­iskussione­n aus der Mottenkist­e des vorigen Jahrhunder­ts bringen uns da nicht weiter).

Davon hören wir wenig. Eher von traditione­llen Arbeitsmar­ktprogramm­en. Und auch die sind nicht immer auf Zukunftsta­uglichkeit hinterfrag­t. Man könnte in einer Zeit, in der mit selbstfahr­enden Lastfahrze­ugen auf E-Basis experiment­iert wird, beispielsw­eise auch fragen, ob es die Eisenbahn in der Form noch geben wird, wenn in Jahrzehnte­n die letzte Rate des laufenden Mega-Investitio­nsprogramm­s abgezahlt sein wird.

Aber damit sind wir wohl schon im Bereich der Ketzerei. Halten wir also fest: Wir erleben gerade einen wirtschaft­lichen Umbruch, der selbst internatio­nale Experten ein bisschen ratlos macht. Und wir müssen uns mit ungelösten Uraltprobl­emen befassen.

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[ Reuters ] Fed-Chefin Janet Yellen: Draußen in der Weltwirtsc­haft geht etwas vor, was auch Notenbanke­r nicht mehr ganz verstehen.
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