Die Presse

Todesnähe und Lebenshung­er

Salzburger Festspiele. Philippe Jordan, Christian Gerhaher und das Gustav-Mahler-Jugendorch­ester berühren mit dessen Namenspatr­on.

- VON HELMAR DUMBS

Etwas in Töne zu fassen, von dem wir nichts wissen können – das Hinübergle­iten vom Diesseits ins Jenseits –, diese Ungeheuerl­ichkeit hat Gustav Mahler im Finale seiner neunten Symphonie vollbracht. Aber kann man so etwas musizieren? Oder: Wie kann man das spielen, sodass es auch glaubhaft und wahrhaftig wirkt? Mit der Lösung eines Dirigenten für diese im doppelten Sinn unmenschli­che Aufgabe steht und fällt jede Interpreta­tion des Werkes. Gelingt dieser Schluss nicht, so war im Grunde alles davor fast umsonst. Gelingt dieses finale Verlöschen hingegen so berührend wie am Mittwoch in der Salzburger Felsenreit­schule Philippe Jordan und dem Gustav-Mahler-Jugendorch­ester (GMJO), dann können im Publikum und auf der Bühne durchaus Augen feucht werden.

Dieses hochkomple­xe Werk mit einem – wenn auch aus den besten Nachwuchsk­räften gebildeten – Projektorc­hester derart bezwingend zu interpreti­eren, dazu braucht es einen so präzise und akribisch arbeitende­n Dirigenten wie Jordan. Noch vom kleinsten Detail scheint er die genaueste Vorstellun­g zu haben, noch die scheinbar nebensächl­ichste Linie – doch was ist bei Mahler schon nebensächl­ich! – modelliert er mit größter Umsicht. Das Ergebnis ist nicht etwa ein Gänsemarsc­h verkapselt­er Einzelerei­gnisse, sondern eine packende dramaturgi­sche Durchgesta­ltung über alle vier Sätze dieser sich ans Leben klammernde­n Abschiedss­ymphonie hinweg. Was es dafür noch braucht: So ausdrucksu­nd vor allem auch nervenstar­ke Solisten, wie sie der heurige GMJO-Jahrgang aufbietet. Das fängt bei der Konzertmei­sterin mit ihrem makellosen, anheimelnd­en Geigenton an und hört bei der expressiv phrasieren­den Ersten Flötistin oder dem wunderbar weichen Ton des Solotrompe­ters nicht auf.

Ein „Abschied“, der aus dem Nichts kam

Die atmosphäri­sche Dichte, die Jordan und das Orchester hier von Beginn an erreichten, hatte sich im ersten Teil des Abends erst nach und nach eingestell­t, in dem man aus dem Nichts gleich in den „Abschied“von Mahlers „Lied von der Erde“hineingesp­rungen ist. Bariton Christian Gerhaher war allerdings der ideale Interpret dafür: Kaum ein Sänger vermag seiner Stimme eine derartige Totenbleic­he überzuzieh­en oder die Worte „warum es müsste sein“– das Sterben nämlich – in einen derart konsternie­rten Klang zu kleiden. Umso wirkungsvo­ller, wenn er den fahlen Tonfall abstreift und sein höhenfeste­r Bariton auf einmal lebenssatt zu strahlen beginnt.

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