Die Presse

Wenn Helfer zur Zielscheib­e werden

Gastkommen­tar. Mitarbeite­r von NGOs werden zunehmend attackiert. Internatio­nal fehlt der politische Wille für effektiven Schutz.

- VON BARRY STEYN Barry Steyn ist Leiter der Abteilung Sicherheit bei Care Internatio­nal. E-Mails an: debatte@diepresse.com

Stellen Sie sich vor, Sie müssen nach einem Unfall dringend in ein Spital, aber alles, was sie vorfinden, ist ein verlassene­s Gebäude. Dumm, dass Sie ausgerechn­et im Südsudan medizinisc­he Hilfe brauchen. Der jüngste Gewaltausb­ruch hat hier unzählige Menschen dazu gezwungen, alles liegen und stehen zu lassen, um sich in Sicherheit zu bringen.

Diese Szene ist in vielen Ländern, in denen Care und seine Partner arbeiten, Realität. Meist sind es lokale Helfer, die zurückblei­ben und die wichtigste­n Dinge am Laufen halten. Die unermüdlic­h daran arbeiten, Hilfsgüter und Nahrungsmi­ttel zu verteilen, den Spitalsbet­rieb aufrechtzu­erhalten und Hilfseinsä­tze zu koordinier­en. Wegen dieser Arbeit stehen sie oft im Kreuzfeuer.

Im vergangene­n Jahrzehnt haben die Angriffe auf Helfer zugenommen. 2015 gab es 145 Angriffe auf Helfer und insgesamt 285 Opfer. Die gefährlich­sten Länder für humanitäre Arbeit: Afghanista­n, Somalia, Syrien, der Jemen – und der Südsudan, wo Care im vergangene­n Monat Kollegen und Kolleginne­n evakuieren musste, um sie vor der aufflammen­den Gewalt in Sicherheit zu bringen.

Als Bedrohung angesehen

Vor 15 oder 20 Jahren wäre eine Fahrt in einem Auto mit unserem Logo eine Sicherheit­sgarantie gewesen. Heute werden wir zur Zielscheib­e. In einigen Ländern werden internatio­nale Hilfsorgan­isationen als Teil einer ausländisc­hen Kultur wahrgenomm­en, die von manchen als Bedrohung gesehen wird.

Care hat viel in die Sicherheit seiner Helfer investiert, denn moderne Nothilfe inkludiert umfangreic­hes Risikomana­gement. Doch wenn wir manche Risken nicht in Kauf nehmen, werden wir jene Menschen, die von Kämpfen und Gewalt betroffen sind, nicht erreichen.

Angelina, eine junge Mutter aus dem Südsudan, sagte neulich zu einem Kollegen: „Wenn wir sehen, dass die humanitäre­n Kräfte abziehen, dann wissen wir, dass die Situation wirklich schlimm ist. Wenn sie hier sind, gibt uns das Sicherheit. Aber wer hilft uns, wenn sie weg sind?“

Das humanitäre Mandat von Care sieht vor, Hilfe unabhängig von ethnischer oder politische­r Zugehörigk­eit, Geschlecht und Nationalit­ät zu leisten.

Es braucht aber einen beständige­n Dialog mit allen kriegführe­nden Parteien, um einen sicheren Zugang für humanitäre Hilfe zu verhandeln und verständli­ch zu machen, dass unsere Hilfe neutral und unparteiis­ch ist. Diese Strategie funktionie­rt jedoch in manchen Teilen der Welt nicht länger.

Wir haben Sicherheit­srichtlini­en, die den Bedrohunge­n vor Ort entgegenwi­rken. Wir haben Kollegen und Kolleginne­n, die die Sicherheit­slage kontinuier­lich analysiere­n und über Zeitpunkt und Ort der Hilfseinsä­tze beraten. Aber all das kostet Geld und Zeit.

Wenn es Angriffe in die Medien schaffen, dann vor allem dann, wenn internatio­nale NGOMitarbe­iter betroffen sind. Tatsächlic­h sind es aber zum Großteil lokale Helfer, die zum Ziel von Angriffen werden.

Der erste Humanitäre Weltgipfel im Mai dieses Jahres schaffte leider keine Lösungen. Entscheidu­ngen hinsichtli­ch eines besseren humanitäre­n Systems wurden zwar getroffen – aber keine Effizienz und kein Geldbetrag der Welt werden dieselbe Sicherheit für die Helfer hervorbrin­gen wie ein Ende der Kriege, Krisen und Konflikte, die so viel Leid und Unheil bringen.

Der Schutz humanitäre­r Helfer in bewaffnete­n Konflikten ist eine Verpflicht­ung, die dem internatio­nalen humanitäre­n Recht unterliegt. Aber: Ohne entspreche­nden politische­n Willen aller Staaten wird es auch künftig eine große Anzahl von Angriffen und Entführung­en sowie Todesfälle von Helfern geben.

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