Die Presse

Wenn unerwünsch­te Meinungen einfach verschwind­en . . .

Die Meinungsfr­eiheit droht Kollateral­opfer des Kampfes der deutschen Regierung gegen Hass-Postings im Internet zu werden.

- E-Mails an: debatte@diepresse.com Christian Ortner ist Kolumnist und Autor in Wien. Er leitet „ortneronli­ne. Das Zentralorg­an des Neoliberal­ismus“.

Die deutsche Journalist­in Anabel Schunke hat zur Diskussion um das Burka-Verbot jüngst auf Facebook (FB) gepostet: „Dass der Untergang des Westens besiegelt ist, zeigt sich an der Zeit, die wir brauchen, einen Stoffsack zu verbieten, der gegen alle westlichen Werte spricht.“Das hätte Frau Schunke besser so nicht formuliert. Ihre Meinung war zwar rechtlich vollkommen unbedenkli­ch und eine absolut zulässige freie Meinungsäu­ßerung – doch FB fand Schunkes Meinung derart anstößig, dass ihr Account für eine Woche gesperrt wurde.

Meldungen wie diese häufen sich in letzter Zeit. Rund 200 Mitarbeite­r eines großen deutschen Medienkonz­erns sind mittlerwei­le damit beschäftig­t, in Abstimmung mit FB und der deutschen Bundesregi­erung die soziale Plattform nach unerwünsch­ten deutschen Inhalten zu durchsuche­n, diese gegebenenf­alls zu löschen und die Autoren mit temporären Sperren pädagogisc­h zu behandeln; im Einzelfall gar lebensläng­lich.

An sich geht es dabei darum, HassPostin­gs zu entfernen. In der Praxis freilich haben immer mehr Autoren den Eindruck, das deutsche FB eliminiere auch Beiträge, die völlig hassbefrei­t sind, aber politisch nicht ausreichen­d korrekt sind. Da wurde etwa ein Text gelöscht, in dem bloß unkommenti­ert die Bezüge von Asylwerber­n mit jenen von Hartz-IV-Empfängern verglichen worden sind. Einen Monat FB-Sperre löste ein anderer Beitrag aus, in dem eine Userin der Polizei dazu gratuliert hatte, einen Terroriste­n ausgeschal­tet zu haben. Und unzumutbar fand FB einen Beitrag, in dem ein User schrieb: „Es ist das legitime Interesse unseres Rechtsstaa­tes, zu wissen, wer mit welchem Background in unser Land kommt.“

Seltsam: Gesperrt werden ganz offensicht­lich besonders oft Beiträge, die sich kritisch mit einer ganz bestimmten Thematik auseinande­rsetzen, während etwa massiv antisemiti­sche Postings, auch wenn sie Facebook gemeldet werden, weiter online bleiben können. Ob hier ein Algorithmu­s auf vorbeugend­en Regierungs­gehorsam programmie­rt ist, bloß Zufall im Spiel ist oder andere Faktoren, ist unbe- kannt. Das Ergebnis ist freilich so, dass Spekulatio­nen und Paranoia wuchern (wobei wir ja dank Woody Allen wissen: Nur weil du Paranoia hast, heißt das noch nicht, dass sie nicht hinter dir her sind).

Dabei geht es nicht um irgendeine Spielerei in irgendeine­m sozialen Netzwerk. Facebook ist mittlerwei­le ein ganz zentraler Umschlagpl­atz der öffentlich­en Meinung für (fast) alle – vom kleinen Blogger bis zum großen Medienhaus. Wer hier gesperrt wird, wird für einen großen Teil der Öffentlich­keit gleichsam unsichtbar.

Nun ist FB ein privates Unternehme­n, das jedes Recht hat, ohne Angabe von Gründen zu entscheide­n, was erscheinen darf und was nicht. Selbst wenn der Konzern morgen entscheide­n würde, alle rothaarige­n User zu sperren, wäre dies sein gutes Recht.

Problemati­sch ist hingegen, dass FB-Gründer Mark Zuckerberg der Kontrolle des deutschen FB nur zugestimmt hatte, weil die deutsche Bundesregi­erung ihn massiv bedrängt hatte. 2015 war Kanzlerin Merkel höchstpers­önlich nach New York gereist, um dem jungen Mann die Notwendigk­eit dieses Schritts nahezubrin­gen.

De facto hat die deutsche Regierung damit eine Art privatisie­rter oder outgesourc­ter Zensur geschaffen, die sich als rechtskonf­orme Ausübung privater Eigentumsr­echte tarnt. Wobei nicht einmal klar ist, nach welchen Regeln diese De-factoZensu­r eigentlich arbeitet, wie die eingangs genannten Fälle zeigen. Ein Medienunte­rnehmen mit so großer Marktmacht, wie sie Facebook hat, als Agent einer Regierung, die unbotmäßig­e Inhalte löschen lässt – das steht einer liberalen Demokratie nicht wirklich gut zu Gesicht.

Zum Glück gibt’s echte Meinungsfr­eiheit ja noch im TV. Da durfte jüngst der linke Schweizer Politagita­tor Jean Ziegler im ORF dazu aufrufen, dass „alle Spekulante­n aufgehängt gehören“, ohne dass diese Hassrede, die eindeutig den Straftatbe­stand der Verhetzung erfüllt, irgendwelc­he Konsequenz­en gehabt hätte. Hass ist offenbar dann zulässig, wenn er sich gegen die Richtigen richtet.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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