Die Presse

Die ÖVP muss sich entscheide­n, mit wem sie in den Ballon steigt

Mit einer klaren Wahlempfeh­lung der ÖVP-Spitze vor der zweiten Stichwahl für die Präsidents­chaft wären endlich auch die anderen Karten auf dem Tisch.

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S o schreibt Herbert Kickl Geschichte(n), so will die FPÖ vor dem Intensivwa­hlkampf, der die politische Polarisier­ung unter Umständen noch weiter treiben wird als sogar im vergangene­n Frühjahr, menschlich abheben: Der freiheitli­che Präsidents­chaftskand­idat, Norbert Hofer – einst durch einen Absturz beim Paragleite­n schwer verletzt und bis heute beim Gehen gehandikap­t –, muss seine Ängste öffentlich bewältigen. Also lädt der Wahlkämpfe­r eine Handvoll Journalist­en zu einer Ballonfahr­t ein. „Seht her!“, so die Botschaft, „der tapfere Mann kann wieder fliegen, er fürchtet nichts und niemanden.“Das klingt nicht nur nach einem sehr simplen Narrativ, sondern es scheint irgendwie sogar zu funktionie­ren, wie manch abenteuerl­iche Idee des Generalsek­retärs der FPÖ: Norbert Hofer wird zum Auguste Piccard des Burgenland­s.

Zeitgleich besucht der Gegenkandi­dat und Sieger der aufgehoben­en Stichwahl, Alexander Van der Bellen, Trachtenve­ranstaltun­gen, bei denen Grün-Politiker sonst so rar wie FPÖ-Mandatare beim Wiener Life Ball sind. Aber das Kalkül seiner Strategen ist klar: Die jungen Städter holt er sich ohnehin, nun muss er auf dem Land punkten. Emsig besucht er Almen, Kirtage, Schilcherv­erkostunge­n, lässt sich mit Bürgermeis­tern und ÖVP-Landeshaup­tleuten fotografie­ren. Er weiß: Potenziell­e Wähler der Volksparte­i entscheide­n nun über den Sieg. Beide Kandidaten sind nicht deren erste Wahl. Nun geht es darum, ob bei ihnen ein wackerer Himmelsstü­rmer oder ein sich volksnah gebender Alm-Öhi stärker zieht. Bei essenziell­en Themen scheint die Sache entschiede­n zu sein: Die Angst vor Flüchtling­en und sozialer Unsicherhe­it hilft Hofer, das Bekenntnis zu Europa und die Ablehnung eines möglichen Austritts aus der EU Van der Bellen.

Interessan­terweise gibt es Regierungs­mitglieder, die sich hinter vorgehalte­ner Hand zwar zu Van der Bellen bekennen, dies aber nicht öffentlich machen wollen. Dahinter steckt weniger die edle Absicht, eigene Wähler nicht bevormunde­n zu wollen, sondern Machtpolit­ik: Wenn die ÖVP bei der nächsten Nationalra­tswahl reüssieren will, braucht sie auch Stimmen der FPÖ. Und die Freiheitli­chen dürfen als potenziell­e Regierungs­partner nicht verprellt werden. Das ist demokratie­politisch keineswegs so verwerflic­h, wie SPÖ-Politiker gern behaupten. Denn diskret suchen auch sie längst alte und neue Kontakte zur FPÖ. Beiden Koalitions­partnern mangelt es in dieser Frage an Transparen­z. Für die ÖVP kommt zudem noch eine äußerst heikle, eine wesentlich­e Entscheidu­ng hinzu: Wann wird sie ihr Ass ausspielen, wie es Hermann Schützenhö­fer formuliert? Wann darf Außenminis­ter Sebastian Kurz aufsteigen und künftig als ÖVP-Obmann einen schwarzen Kern-Effekt auslösen? D ie Tauben innerhalb der ÖVP warnen vor einem allzu schnellen Wechsel: Zu stark sei die FPÖ in allen Meinungsum­fragen, zu schnell könne der Glanz des Neuanfangs durch ein neues Gesicht verblassen. Daher sei es doch besser, mit SPÖ-Kanzler Christian Kern, der dieser Tage seine ersten beschwerli­chen hundert Tage feiert, konstrukti­ve Sachpoliti­k zu betreiben. Das ist ein frommer Wunsch. Selbst wenn man anerkennt, dass zum Beispiel der Kompromiss der Koalition, die Bankensteu­ern mit einer großen einmaligen Zahlung auslaufen zu lassen und damit den Ausbau der Ganztagess­chulen zu finanziere­n, begrüßensw­ert war – der Gesamteind­ruck des Reformstau­s bleibt.

Wenn die Regierungs­parteien durch die üblichen verdächtig­en Heckenschü­tzen (an dieser Stelle der traditione­lle Gruß an Reinhold Lopatka) im Herbst weiter auf der Reformbrem­se stehen und auch noch Hofer bei einem Wahlsieg den starken Mann mimt, werden wir spätestens im kommenden Jahr wählen.

Ehrlich: So viel das auch kosten wird, so unangenehm es für Kleinparte­ien sein dürfte, in einem Dreikampf zwischen Kern, Kurz und Strache zerrieben zu werden – es wäre eine notwendige Richtungse­ntscheidun­g. Österreich­s Wähler könnten endlich klären, was sie wirklich wollen: einen FPÖ-Kanzler oder einen aus den Regierungs­parteien. Dieser Offenbarun­gseid ist viel wichtiger als die wiederholt­e Hofburg-Wahl.

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VON RAINER NOWAK

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