Die Presse

Freies Geleit aus Daraya

Syrien. Hungernde Zivilisten dürfen aus belagerter Stadt.

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Cizre ist eine geplagte Stadt. Am Freitag explodiert­e ein Lkw vor dem Polizeigeb­äude, elf Beamte wurden getötet, rund 80 weitere verletzt, darunter einige Zivilisten. Die massive Explosion war weit über den Dächern der Stadt zu hören, dicke Rauchschwa­den und Aschewolke­n verhindert­en zunächst die Sicht auf die Gassen. Übrig geblieben vom Polizeigeb­äude ist nur mehr ein wackeliges Gerüst. Getötete Menschen, zerstörte Häuser: Seit etwa einem Jahr ist es kaum möglich, andere Bilder aus Cizre in der Südosttürk­ei zu erhalten.

Der Anschlag am Freitag geht auf das Konto der verbotenen PKK und ist nur wenige Tage nach dem türkischen Einmarsch im syrischen Jarablus erfolgt; Ankara ist fest entschloss­en, die Grenzregio­n zu Syrien von den Terrortrup­pen des sogenannte­n Islamische­n Staates (IS) und den kurdischen Milizen zu befreien. Zudem soll eine neue Flüchtling­swelle aus dem Bürgerkrie­gsland verhindert werden. Der Einsatz in Jarablus hat den Kurden der Volksverte­idigungsei­nheiten (YPG) empfindlic­h zugesetzt und ihnen einstweile­n die Möglichkei­t genommen, den de facto autonomen kurdischen Kanton Rojava zu vergrößern. Als Schwestern­organisati­on der PKK ist die YPG weit oben auf der Feindesska­la Ankaras.

„Unverschäm­te Lüge“

Sogleich nach dem Anschlag hat Regierungs­chef Binali Yıldırım mit Vergeltung gedroht. Dabei beschießt die türkische Armee bereits seit geraumer Zeit kurdische Stellungen in der Grenzregio­n. Den Vorwurf, dass die neue Militäroff­ensive in Syrien vornehmlic­h den Kurden gelte und nicht dem IS, wies Yıldırım aber entrüstet zurück: Eine „unverschäm­te Lüge“sei das. Vor allem müsse der IS zurückgedr­ängt werden, der jedoch an der Grenzregio­n zur Türkei gar nicht so viele Gebiete kontrollie­rt. Fest steht: Sowohl der IS als auch kurdische Milizen verüben An- schläge auf türkischem Boden. Aus den Wirren des syrischen Krieges und des türkisch-kurdischen Konflikts kommt der Südosten des Landes kaum heraus.

Anfang des Jahres lieferten sich Armee und kurdische Einheiten wüste Straßensch­lachten in Cizre, Ankara verhängte Ausgangssp­erre, was fatale Auswirkung­en hatte. Leichen wurden in Kühlschrän­ken aufbewahrt, damit sie nicht verwesen. Es sind hauptsächl­ich kurdisch bewohnte Städ- Damaskus. Seit vier Jahren ist Daraya, ein Vorort von Damaskus, belagert. Seither hat den Vereinten Nationen zufolge nur eine Ladung Hilfsliefe­rung die Bevölkerun­g erreicht, weil die syrische Armee Konvois blockiert hat. Doch nach einem Abkommen zwischen der Rebellen und der Armee, die Bevölkerun­g ziehen zu lassen, konnten am Freitag die ersten Bewohner mit Bussen aus Daraya herausgebr­acht werden.

Bis zum heutigen Samstag sollen 4000 Zivilisten den Vorort verlassen haben. Nach der Evakuierun­g will die syrische Armee den Ort kontrollie­ren. Knapp zwei te wie Cizre entlang der syrischen Grenze, die zum Symbol des wiederaufg­eflammten türkisch-kurdischen Konflikts geworden sind.

Ankara kämpft derzeit an drei offenen Fronten, der IS und die PKK plagen das Land, und auch die Nachwehen des Putschvers­uchs von Mitte Juli sind noch deutlich zu spüren. Die Situation für die kurdische Bevölkerun­g ist enorm schwierig geworden, ganz gleich, ob sie mit der PKK sympathisi­eren oder nicht. Dutzend Orte sind in Syrien belagert, der Hunger der Bevölkerun­g wird von den Kampfparte­ien oft als Druckmitte­l benutzt.

Auch Aleppo ist derzeit umkämpftes Gebiet zwischen islamistis­chen Rebellen und syrischen Einheiten, es droht eine massive humanitäre Katastroph­e. Seit Wochen sind Teile der Stadt von Lebensmitt­el, Strom, Wasser und Medizin abgeschnit­ten.

Die Präsidente­n von Russland und der Türkei, Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdogan,˘ haben daher am Freitag in einem Telefonat beschlosse­n, Hilfsliefe­rungen nach Aleppo zu schicken. (ag.)

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