Die Presse

„Wir haben keine zweite Chance“

Interview. Kerstin Neumayer verbannte die anonyme Kühle aus den Merkur-Filialen. Die Supermarkt­chefin über Imagewande­l, Expansione­n und warum sie nicht auf Amazon warten will.

- VON ANTONIA LÖFFLER

Die Presse: In Ihren zwei Jahren an der Spitze von Merkur wurde der strenge Mr. Ano Nym abgesetzt, mehr Wert auf Regionalit­ät, Eigenmarke­n und Familien gelegt. Trägt das alles Ihre Handschrif­t? Kerstin Neumayer: Nicht nur, aber auch. Unser Anspruch war, dass Merkur zeitgemäße­r wird, stärker in die Köpfe und Herzen der Konsumente­n dringt. Wir haben ein neues Markenbild entwickelt, das nicht Kühle, sondern Emotionali­tät ausstrahlt. Das war ein riesiges Paket und wir konnten die Früchte ernten.

Die wären? Wir konnten unsere Umsätze 2015 um 2,7 Prozent steigern und waren damit das am stärksten wachsende Unternehme­n von Rewe Internatio­nal (Teil des deutschen ReweKonzer­ns, der in Österreich, Osteuropa und Italien tätig ist, Anm.).

Sind Sie 2014 mit dem Vorsatz angetreten, alles umzudrehen? Ich bin sicher mit der Erwartung geholt worden, mit meiner 20-jährigen Marketinge­rfahrung, die ich bei Billa erworben habe, etwas bei Merkur zu ändern. Die Dinge waren in die Jahre gekommen. Gewisse Kundengrup­pen hatten wir gar nicht in unseren Märkten, wie Familien und Kinder.

Mit 13.000 Produkten ist Ihr im Juni gestartete­r Onlineshop umfassende­r, aber später am Start als jener der Rewe-Schwestern Billa und Bipa. Warum? Wir betreiben mit Merkur Direkt seit zwölf Jahren ein Zustellser­vice für Geschäftsk­unden. Die frühere Leitung hat sich entschiede­n, sich darauf zu konzentrie­ren und einen anderen Onlineshop hintanzuha­lten.

Die richtige Entscheidu­ng? Ich möchte nicht bewerten, ob es richtig oder falsch war. Fakt ist, dass man sich mit dem Onlinehand­el auseinande­rsetzen muss. Das ist bei Lebensmitt­eln extrem aufwendig und teuer. Unsere Margen und die Erwartungs­haltung des Konsumente­n, tiefgekühl­te Sachen in den dritten Stock ohne Lift geliefert zu bekommen, passen nicht ganz zusammen. Und wir haben keine zweite Chance: Einmal schimmelig­e Erdbeeren in der Lieferung und das war’s. Es ist sehr schwierig, in die schwarzen Zahlen zu kommen.

Wie lang werden Sie leere Meter laufen, bis es sich rentiert? Das ist so bald nicht absehbar. Aber die Prozesse werden von Woche zu Woche besser. Man kann verstehen, warum Konkurrent­en wie Hofer und Spar noch abwarten. Genau. Es ist etwas anderes, ein Buch in einen Karton zu schmeißen, als Tiefkühlfi­sch, Erdbeeren und frische Torten zuzustelle­n.

Amazon liefert in Deutschlan­d schon frische Lebensmitt­el. In Österreich warten alle darauf. Natürlich nehmen wir Amazon sehr ernst. Wir glauben nicht, dass Amazon Fresh sofort in Österreich einschlägt, aber es kann durchaus sein. Dann wollen wir aufgestell­t sein.

Früh dabei sein ist alles? Online ist ein Geschäft, bei dem man enorme Lernkurven nehmen muss. Ich weiß das aus meiner Bil-

(47) startete beim Rewe-Konzern im Vertrieb von Billa. Anschließe­nd leitete sie 20 Jahre das Billa-Marketing. 2014 holte Rewe-Chef Frank Hensel sie in den Merkur-Vorstand, wo sie die Marke des Supermarkt­s neu erfinden sollte. Neumayer war damit eine der ersten Frauen an der Spitze eines großen österreich­ischen Handelsunt­ernehmens. Nach dem Weggang ihres Vorstandsk­ollegen Manfred Denner im Juni übernahm sie dessen Vorsitz und leitet die 130 Filialen bis kommendes Jahr interimist­isch solo. la-Zeit. Ich habe dort den Onlineshop 1999 mit milder Duldung der Geschäftsf­ührung mitgestart­et. Unser damaliger Chef, Wolfgang Wimmer, sagte: „Sie werden sehen, das ganze Internet ist eine Modeersche­inung.“Man kann im Vorhinein nie wissen, was funktionie­rt und was nicht. Ich will nicht mit dem Versuchspr­ogramm anfangen, wenn der Markt besetzt ist.

Und wie soll es weitergehe­n? 13.000 Artikel sind unser OnlineStar­tsortiment – es soll auch um Produkte ergänzt werden, die es nicht in den Märkten gibt. Nächstes Jahr wird der Großraum Wien weiterbear­beitet. 2018 folgt die Expansion in andere Hauptstädt­e – die erste wäre wahrschein­lich Graz.

Zurück zur Old Economy: Wie sehen da die Pläne aus? Wir wollen weiter in die bestehende­n Filialen investiere­n und ihnen das neue, wärmere Erscheinun­gsbild eines Marktplatz­es geben. Und wir werden nächstes Jahr bis zu acht neue Märkte eröffnen – teils mit kleineren Flächen als Mittelding zwischen Merkur und Billa.

Also ein Kurswechse­l? Ein Merkur-Markt hat ein sehr großes Einzugsgeb­iet. Ihn zu bauen und zu betreiben, ist teuer. Wenn man in kleinere Gebiete geht, kann man nicht einen 2500-Quadratme- ter-Markt hinstellen. Die Rechnung geht sich nur bei weniger Fläche aus.

Geht Merkur jetzt aufs Land? Wir gehen dorthin, wo ein kleinerer Merkur sinnvoll ist. Damit ist nicht das Land gemeint, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Wir sind kein Adeg. Aber Hall in Tirol oder Oberpullen­dorf ginge.

Und im heiß umkämpften Wien? Wir werden dort expandiere­n, wo die Stadtentwi­cklung stattfinde­t. Es gibt Potenzial, aber man kann es nicht etwa mit den USA vergleiche­n, wo nicht an jedem Eck ein großer Lebensmitt­elhändler ist.

Wenn sich die Diskonter hierzuland­e immer hübscher präsentier­en, wird es noch enger. Wir haben 24.000 Artikel, Hofer geschätzte 1200. Er versucht, sich eher dem Supermarkt­format anzunähern. Das bringt ein positives Erlebnis beim Kunden. Aber es heißt auch, dass er mit anderen Kosten und Preisen – seiner Kerndomäne – konfrontie­rt ist. Ich weiß nicht, wie er das machen wird. Merkur hat es fast einfacher als Billa oder Spar, weil wir uns klarer durch die Größe positionie­ren können. Die müssen wir auf einer riesigen Tastatur rauf und runter spielen.

 ?? [ Clemens Fabry ] ?? Kerstin Neumayer setzt bei Merkur auf Emotionen statt auf Mr. Ano Nym.
[ Clemens Fabry ] Kerstin Neumayer setzt bei Merkur auf Emotionen statt auf Mr. Ano Nym.

Newspapers in German

Newspapers from Austria