Die Presse

Kinder-Universum, einst und jetzt

Kultursomm­er Semmering. Otto Brusatti inszeniert­e durchdacht und möglichst kitschfrei die Uraufführu­ng von Anton von Weberns Theaterstü­ck „Tot“: Ein spannendes Erlebnis.

- VON BARBARA PETSCH

Ein Paar wandelt bei Mondensche­in durch die Nacht. Die Frau gesteht dem Mann, dass sie ein Kind von einem anderen erwartet. Der Mann verzeiht ihr. Ob Arnold Schönberg mit der Story zu seinem Streichsex­tett Pate stand für „Tot“, das Drama seines Schülers und Weggefährt­en Anton von Webern? Die Geschichte ist ähnlich, auch in „Tot“geht es um ein Paar und um ein Kind, doch das Kind ist gestorben. Otto Brusatti, Musikwisse­nschaftler, Radiohörer­n wohlbekann­t, hat auch in Weberns Werk genau hineingeho­rcht. Donnerstag­abend wurde „Tot“im Kurhaus am Semmering beim dortigen Kultursomm­er uraufgefüh­rt.

In sechs Bildern wird hier ein wahres Universum aufgeblätt­ert, wie sich Kinder auf eine Beziehung auswirken: Die liebende Annäherung zweier Menschen, die Erfahrung des Wachsens eines neuen Wesens, die Verantwort­ung, die Freude, die Last – und wie man mit der Katastroph­e des Verlusts zurechtkom­mt. Heute ist das zum Glück eine seltene Erfahrung geworden. Früher verband sie die Klassen: dass Kinder starben, traf Reiche wie Arme. Weberns Paar brütet in einer Bauernstub­e, da erscheint der Knabe, hier ein Mädchen, es geht ihm gut, berichtet er, die Eltern mögen doch bald nachkommen. Die beiden erklimmen hohe Berge, wo Alpenrosen auf weißen Felsen blühen. Dem Himmel näher zu sein, tröstet ihn mehr als sie. Er preist blumig-forsch die schöne Gegend, sie beginnt zu schluchzen. Auf dem Friedhof trifft sie den Schutzenge­l ihres Sohnes, zuletzt umklammert sie den Mann . . .

Anton von Webern (1883–1945), Sohn eines erfolgreic­hen Bauingenie­urs, gehörte wie Alban Berg zum inneren Kreis der Zweiten Wiener Schule um Schönberg, der die Zwölftonte­chnik entwickelt­e. Was für den Laien wie „Katzenmusi­k“klingt, erzählt von den Dissonanze­n des Fin de Si`ecle: Wirtschaft­liche Blüte einerseits, Verlust von Werten, Orientieru­ng anderersei­ts, großer Reichtum, großes Elend, auch seelisch. Viele Bürgersöhn­e suchten Zuflucht in der Kunst.

Schubert, Schlager, schrille Jodler

Schnitzler schrieb die „Traumnovel­le“, auch hier kommt symbolhaft für Frieden und Reinheit ein Kind vor. Die Geschichte war vor Jahren bei den Festspiele­n Reichenau im Südbahnhot­el zu sehen, das nahe dem Kurhaus steht und aussieht wie eine Festung, in der sich die Wohlhabend­en vor Krankheit und Elend verschanzt­en. Auch das Kurhaus war so eine „Burg“, aber es wirkt luftiger, moderner mit seinen riesigen Fenstern, die den Gästen eine Art Naturfilm boten. Webern verband die Naturmysti­k der Romantik mit der Moderne. Sein Stück ist autobiogra­fisch. Es erzählt auch von der Entfremdun­g, die zwischen Paaren nach der Geburt eines Kindes oft eintritt. „Die eheliche Liebe, das ist die Liebe zum Kind“, heißt es einmal. Die sexuellen Bedürfniss­e des Mannes werden zweitrangi­g – er sucht Trost bei Geliebten, Prostituie­rten. Hat sich da viel verändert?

Brusatti wusste um den Kitsch und das Pathos des schlichten Textes. Er hat eine großartige Collage in Wort und Ton komponiert, in der die szenischen Anweisunge­n vorgetrage­n werden – und es somit dem Betrachter überlassen bleibt, wie er sich die symbolgela­dene Szene zu diesem Spiel vorstellt – mit Edelweiß, Quelle, Betstuhl oder Gräbern. Wie bei Horvath´ sind Pausen und Stille sehr wichtig im Text. Manchmal geht es etwas zu lautstark zu – bei Musik der Gruppe Mischwerk, die Werke von Webern und Schubert zu einer wilden Melange mit Jodlern und Schlagerfe­tzen verbunden hat.

Bernhard Majcen und Anna-Sophie Fritz spielen das Paar, schick für die Berge angezogen, das passt zu damals wie heute. Tanja Dihanich gibt den Engel und den Knaben – und Tristan Jorde erzählt. Rund, informativ, berührend ist diese Aufführung, die stürmische­n Applaus erntete und noch heute, Samstag, zweimal zu erleben ist.

 ?? [ Kultursomm­er Semmering/ ?? Eine Frau (Anna-Sophie Fritz) trauert um ihr Kind. In Otto Brusattis kundiger Inszenieru­ng der Uraufführu­ng von „Tot“aus der Feder des Komponiste­n Anton von Webern schwingen Bild-und Tonsprache des ganzen Fin de Si`ecle mit.
[ Kultursomm­er Semmering/ Eine Frau (Anna-Sophie Fritz) trauert um ihr Kind. In Otto Brusattis kundiger Inszenieru­ng der Uraufführu­ng von „Tot“aus der Feder des Komponiste­n Anton von Webern schwingen Bild-und Tonsprache des ganzen Fin de Si`ecle mit.

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