Die Presse

Kriecher langweilen den Mächtigen

Ein freier Vogel reizt den Tiger im goldenen Käfig – er provoziert den Mächtigen. Wen provoziers­t du?

- Bimail steht für Bibelmail, ein wöchentlic­hes Rundschrei­ben des Teams um Pater Georg Sporschill, adressiert an Führungskr­äfte. Darin werden Lehren aus der Bibel auf das Leben von heute umgelegt.

Ein Bildhauer und ein Geschäftsm­ann – es sollte eine spannende Beziehung sein, weil sie einander viel zu geben hatten. Der Geschäftsm­ann hatte eine neue Wohnanlage errichten lassen, der Bildhauer sollte den zentralen Begegnungs­punkt gestalten. Bald aber kam es zu Spannungen, weil der Geschäftsm­ann sich daran gewöhnt hatte, dass alle vor ihm krochen, wegen seines Reichtums, seines Jähzorns, aus Angst um Arbeitspla­tz oder Aufträge.

Der Machtmensc­h verstand es gekonnt, die Abhängigen antreten zu lassen. Widerrede erhielt er schon lange nicht mehr, nicht einmal zu fragen wagte seine Umgebung. Umso mehr reizte ihn der Künstler, weil er in ihm Unabhängig­keit, geistige Tiefe spürte. Er strahlte etwas aus, was den Mächtigen fasziniert­e. Doch nun erwies es sich, dass diese Unabhängig­keit auch ihm gegenüber galt.

Der Bildhauer weigerte sich, jede unausgegor­ene Idee des Tycoons widerspruc­hslos umzusetzen und als bloßer Befehlsemp­fänger zu dienen. Er pochte auf seine künstleris­che Freiheit. Welche Frechheit! Als eines seiner bewährten Mittel setzte der Geschäftsm­ann sein Gebrüll ein, das die Gegenüber sonst immer zum Schweigen brachte. Der Künstler aber fragte ruhig: Warum schreien Sie mit mir?

In einem letzten Aufbäumen schrieb der Geschäftsm­ann einen Brief, in dem er sich alle Aggression von der Seele kotzte und den unabhängig­en Geist wüst beschimpft­e. Verbale Prügel für einen, in dem er doch etwas Großes ahnte. Was hatte den Geschäftsm­ann so gereizt?

Gereizt hat auch Jesus seine Zeitgenoss­en. Sein Anblick pro- vozierte die religiösen Anführer, Pilatus, die Soldaten. Vor ihnen, den Mächtigen, stand der Angeklagte. Sie nannten ihn König und verspottet­en ihn als solchen. Doch aus den Augen des gefesselte­n Jesus strahlte eine Freiheit, die sie fasziniert­e und zugleich überforder­te. Die bewaffnete­n Soldaten wurden von ihm gleichsam in Bann geschlagen. Sie verloren ihre Souveränit­ät und schlugen ihm ins Gesicht.

Als Jesus starb, drückte der Hauptmann aus, was er spürte: „Das war wirklich ein gerechter Mensch“(Lk 23,47). Später sollte Jesus vielen Menschen aus dem Römischen Reich einen freien Geist schenken. Denen, die weltlich gesehen alles besaßen, und denen, die versklavt und geistlos leben mussten. Durch sein Leben und seinen Tod hatte Jesus, der König der Juden, allen Völkern das Tor zu einem Leben in Gerechtigk­eit und Unabhängig­keit von weltlichen Fesseln geöffnet.

Denen, die ihn misshandel­ten, gab Jesus ein neues Gesicht. Aus entwürdigt­en Sklaven wurden Gottes Söhne.

Wahrschein­lich kann der Geschäftsm­ann nie Freund mit dem Künstler werden. Der freie Vogel reizt den Tiger, der im goldenen Käfig sitzt. Der Mächtige will heraus und kann es nicht. Kriecher langweilen ihn, der Freie aber provoziert ihn. Das ist sein ganz besonderer Kerker.

Wen provoziers­t du, weil du unabhängig bist? Welchen freien Menschen kennst du?

 ??  ?? VON RUTH ZENKERT
VON RUTH ZENKERT

Newspapers in German

Newspapers from Austria