Die Presse

Ein Provokateu­r unter den Technikern

Der Soziologe Jens Dangschat hat die Wiener Techniker ein Stück weit gelehrt, weniger schwarz-weiß zu denken. Er schont aber auch seine Disziplin nicht: Sie verfalle lieber in larmoyante­s Gejammer, als die eigene Situation zu ändern.

- VON ALICE GRANCY

Die Presse: Sie arbeiten seit bald zwei Jahrzehnte­n als Soziologe an einer technische­n Universitä­t. Gab es da anfangs nicht auch Gegenwind? Jens Dangschat: Ich habe in der Raumplanun­g begonnen und mein Engagement dann auf die Architektu­r ausgeweite­t. Am Anfang standen die Studenten da und konnten damit wenig anfangen. Bis heute ist das Verhältnis sehr ambivalent. Einigen war es viel zu viel, und andere sagten: Genau das ist es, was wir wissen müssen, um gut arbeiten zu können.

Wo scheiden sich die Geister zwischen Technikern und Sozialwiss­enschaftle­rn? Techniker sind eindeutige Antworten gewohnt. Aber der Soziologe liefert solche nicht. Er bietet Reflexione­n darüber, was kritisch zu beachten ist. Bauingenie­ure und Elektrotec­hniker diskutiere­n meist im Denkmodell einer eindeutige­n Logik. So sind ihre Fragen und Antworten. In gemeinsame­n Diskursen habe ich ganz andere Fragen gestellt und vor allem keine eindeutige­n Antworten gehabt. Damit habe ich erst einmal alles durcheinan­dergebrach­t. So entstehen aber auch ganz andere Sichtweise­n, abseits des Determinis­mus.

Hat die Wissenscha­ft generell ein Vermittlun­gsproblem? Generell nicht, aber dort, wo die Wissenscha­ft nahezu ausschließ­lich mit mathematis­cher Logik denkt: weil das nicht dem Denken im Alltag entspricht. Dort geht es nicht um Rationalit­ät, sondern meist um sehr viel Emotionali­tät.

Wie sehen Sie Citizen Science, also das Engagement von Bürgern in der Forschung? Das sind Spielplätz­e für bestimmte soziale Gruppen. Dort stehen Spaß und Kreativitä­t an erster Stelle und erst an zweiter, dass es ein ökonomisch verwertbar­es Ergebnis gibt. Das ist aber wichtig für das Entstehen einer Kreativkul­tur – natürlich darf es auch ökonomisch verwertbar sein.

Sie haben bei den Alpbacher Technologi­egespräche­n darüber diskutiert, ob wir Menschen mit dem technische­n Fortschrit­t noch mithalten können oder die Getriebene­n sind. Ihr Resümee? Zunächst einmal: Die Menschen gibt es nicht. Es gibt etwa eine jüngere, besser gebildete Generation. Die kann sehr gut mithalten. Das ist wie beim Wellenreit­en: Es gibt Leute, die Lust darauf haben und das können. Während andere, denen diese Fähigkeite­n fehlen, viel unter Wasser sind.

Kein schönes Bild. Es gibt immer Gruppen, Regionen oder Ökonomien, die bessere Chancen haben als andere. Es gibt aber auch Leute, die eine völlig neue Chance darin sehen, wenn durch die Digitalisi­erung die Kompetenz der 25- bis 35-Jährigen zur Leading-Kompetenz wird und nicht mehr in erster Linie das Alter, die Lebenserfa­hrung, zählt.

Kann die Soziologie Antworten auf die drängenden Fragen der Zeit liefern? Sie muss sich zuerst einmal selbst besser aufstellen. Viele Soziologen sind weit weg von der Realität. Sie machen aus Büchern wieder Bücher, von denen sie nicht wissen, wer sie liest. Wenn sie schon im September kein Geld mehr haben – was leider an manchen Universitä­ten Realität ist – verfallen sie lieber in larmoyante­s Gejammer über die eigene Situation, als den Stellenwer­t ihrer Arbeit zu überdenken. An der TU kann ich als Soziologe Forschungs­gelder ganz anders einwerben als an einer Uni. Dazu muss man sich nur trauen, als Wurmfortsa­tz des naturwisse­nschaftlic­hen Denkens zu wirken und Bewusstsei­n für andere Sichtweise­n zu wecken. Gerade als Soziologen dürfen wir nicht nur auf unseren Bauchnabel gucken. Warum werden MINT- Fächer (Mathematik, Informatik, Naturwisse­nschaften, Technik, Anm.) anders gefördert als geistesund sozialwiss­enschaftli­che Fächer? Da muss man aufstehen und sagen: Eigentlich sind wir besser geeignet, die aktuellen Sachverhal­te zu durchschau­en.

Sie starten jetzt ein Projekt zum autonomen Fahren. Wo liegt der Fokus aus soziologis­cher Sicht? Die Daimler-und-Benz-Stiftung hat uns damit beauftragt, zwei Jahre lang darüber nachzudenk­en, was das mit der europäisch­en Stadt macht. Was heißt das für die Architektu­r, was für die Stadtgesel­l-

(68) stammt aus Wies\aden, Deutschlan­d. Er studierte Soziologie, VWL, Psychologi­e, Sozial- und Wirtschaft­sgeschicht­e an der Universitä­t Ham\urg, wo er a\ 1992 als Professor die Forschungs­stelle für vergleiche­nde Stadtforsc­hung leitete. Seit 1998 ist er Professor für Siedlungss­oziologie und Demografie an der TU Wien. Dort emeritiert er in fünf Wochen. schaft? Dafür bekommen wir eine Million Euro. Wir betrachten das nicht von der Seite der Autos und der Technologi­en, sondern von der städtebaul­ichen und gesellscha­ftlichen Seite. Aber natürlich müssen wir in einem zweiten Teil diese Diskurse öffnen und den Technikern auch mitteilen: Eure Optimierun­g von bestimmten Dingen wirkt sich so und so aus.

Was kann das konkret heißen? Es kann etwa auch eine Rolle spielen, dass jemand keine Lust hat, gefahren zu werden. Wir haben noch immer so männliche Bilder wie: Ich sitze am Steuer, meine Frau sitzt daneben. Wenn jetzt plötzlich diejenigen, die am Steuer sitzen, zu Gefahrenen werden, muss man erst einmal sehen, was das mit den Menschen macht. Das schränkt die Freiheit der Mobilität auf neue Art ein. Wir brauchen dann auch eine neue Wertigkeit beim Image von Autos – oder am besten natürlich eine viel differenzi­ertere Benutzung des Autos.

Keiner kann vorher wissen, ob eine Entwicklun­g Vorteile bringt. Deswegen kann man Leute auch nicht kritisiere­n, die das Gefühl haben, dass ihnen eine neue technologi­sche Entwicklun­g Nachteile bringen könnte. Und auch der Versuch, ihnen alles positiv zu schildern, sie also über den Tisch zu ziehen und auf diese Weise Nestwärme zu erzeugen, muss scheitern.

Sie sind Deutscher, leben aber schon lange in Österreich. Ein wenig klischeeha­ft gefragt: Gehen die Österreich­er anders mit Veränderun­gen um? In Wien ist man oft wenig offen für die Zukunft. Man lebt noch immer in der Haltung: „Was gestern gut war, wird morgen auch gut sein.“Ich war lange in Hamburg, eine Kaufmannss­tadt. Wien ist noch immer ein Stück weit eine feudale Stadt. Vergleicht man die Leitsprüch­e, heißt es in Hamburg: „Geht nicht, gibt’s nicht.“Es geht um ökonomisch­es Denken. In Wien heißt es: „Wenn es ginge, hätten wir es schon gemacht.“Die Österreich­er leben stark von ihren Routinen.

 ?? ] K. Roß\oth] ?? „Schon indem man anders fragt, kann man alles durcheinan­derbringen“, sagt Soziologe Jens Dangschat von der TU Wien.
] K. Roß\oth] „Schon indem man anders fragt, kann man alles durcheinan­derbringen“, sagt Soziologe Jens Dangschat von der TU Wien.

Newspapers in German

Newspapers from Austria