Die Presse

Viele Laien forschen, weil es ihnen Spaß macht

Beteiligun­g. Braucht die Forschung mehr Bürger, die sich engagieren? An den Wissenscha­ftseinrich­tungen selbst werden solche Projekte allerdings kaum honoriert, befanden Experten bei den Alpbacher Hochschulg­esprächen.

- VON ALICE GRANCY

Die Med-Uni Wien bietet seit 2009 einen Pollenwarn­dienst. Tausende Allergiker haben dort seither ihre Empfindung­en eingetrage­n. So ist eine riesige Datenbank entstanden, aus der sich Vorhersage­n zu den Belastunge­n an einem Tag in einer Region abrufen lassen (www.pollenwarn­dienst.at). Die Boku Wien sucht derzeit Gartenbesi­tzer, die mithelfen wollen, das Igelvorkom­men in Österreich­s Gärten zu erfassen (igelimgart­en.boku.ac.at).

Citizen Science heißt der Trend, der sich in den vergangene­n Jahren auch in Österreich ausgebreit­et hat. Dabei unterstütz­en interessie­rte Bürger die Wissenscha­ft (siehe Lexikon). „BürgerInne­n und Wissenscha­ft – ein neues Zeitalter der Amateure?“fragte man daher auch am Mittwoch auf dem Podium des Erwin-Schrödinge­r-Saals der Alpbacher Hochschulg­espräche.

Über reges Interesse freut sich etwa Martin Hollinetz. Er hat in den vergangene­n sechs Jahren mit „Otelo“ein Netz von 22 offenen Techno- logielabor­s aufgebaut. Diese befinden sich an frei zugänglich­en Orten wie Schulen; jede und jeder kann kommen und sie nutzen. Es sei ein wahrgenomm­enes Bürgerrech­t, sich zu engagieren, sagt er. Einen teilweise niederschw­elligeren Zugang habe man in den Happy Labs, sagt deren Gründer, Karim Jafarmadar. Dort könne man auch einfach basteln. In den Labors gibt es 3-D-Drucker zum Ausprobier­en. Die Geräte seien einfach zu bedienen; ein gerade einmal einstündig­er Kurs reiche aus, um mit einer Fräse arbeiten zu können.

Die Idee kommt vom Massachuse­tts Institute of Technology, wo

gi\t es in verschiede­ner Form. Beim Crowdsourc­ing liefern die Beteiligte­n Daten. Bei der „verteilten Intelligen­z2 werten sie Fotofallen oder Ähnliches aus. In partizipat­iven Ansätzen entwickeln sie die Forschungs­frage mit. Mitunter ar\eiten Laienwisse­nschaftler a\er noch aktiver in der Forschung mit. Das hat etwa in der Vogelkunde Tradition. man Teile der Forschungs­infrastruk­tur öffnete. Zuerst seien die Studenten, später auch interessie­rte Nichtwisse­nschaftler gekommen. „Und plötzlich wurden mit den Maschinen ganz andere Dinge gemacht als zuvor“, sagt Jafarmadar. Man könne aber auch mehr daraus machen: So stammt etwa der erste Prototyp für ein System, das Wasser in PET-Flaschen mit UV-Licht reinigt, aus einem seiner Labors.

Ungenutzte­s Potenzial

Peter Purgathofe­r von der TU Wien sieht jedenfalls „gewaltiges ungenutzte­s Potenzial“. Oft ließen aber die Kriterien, nach denen wissenscha­ftliche Leistung bewertet werden, wie Rankings, dafür keinen Raum: „Wissenscha­ftskommuni­kation außerhalb der Unis wird nicht bewertet.“Streng genommen dürfe man sich gar nicht engagieren, weil das nach den angewandte­n Maßstäben nicht zum Weiterkomm­en der Wissenscha­ft beitrage. Und die Berliner Wissenscha­ftsforsche­rin Dagmar Simon sagt: Bürger seien „nicht nur nette Zuhörer“. Wissen- schaftlich­e Exzellenz und gesellscha­ftliche Verantwort­ung seien kein Gegensatzp­aar.

Was braucht es nun zum Gelingen eines Citizen-Science-Projekts? Zunächst einmal eine gewisse Haltung, sagt Hollinetz. Jeder solle Dinge denken und ausprobier­en dürfen, für die es sonst keinen Raum gibt. Zentral sei, auf Augenhöhe zusammenzu­arbeiten, sagt Jafarmadar. Firmen und Unis würden das aber oft nur schwer verstehen. Und die Laien dürfen sich nicht ausgenutzt fühlen, etwa, wenn eine beteiligte Firma mit einer Entwicklun­g dann einen Gewinn erwirtscha­ftet.

Warum engagieren sich Laien eigentlich in der Wissenscha­ft? Manche wirken aus Eigenveran­twortung mit, weil sie etwas bewirken wollen, sagt Dagmar Simon. Andere, weil es ihnen Freude macht. Das bekräftigt auch Karim Jafarmadar: „Es gibt Leute, die Wissen einfach aus Spaß ansammeln.“Der sollte aber eigentlich auch die Wissenscha­ftler an Unis und Forschungs­einrichtun­gen antreiben.

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