Die Presse

Langzeitge­dächtnis schützt vor Naturkatas­trophen

Hydrologie. Bei Modellen für Hochwasser oder Dürre soll man stets das Verhalten der Gesellscha­ft mitberechn­en, betonen Wasserbaue­r der TU Wien. Sie zeigen nun, dass Wasserknap­pheit die Maya-Kultur zerstört haben könnte.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Wer in Österreich von Wasser und Naturkatas­trophen spricht, denkt zuerst an Hochwasser. In anderen Ländern bedrohen aber Dürreperio­den die Bevölkerun­g, auch dort muss man vorausdenk­en, wie man sich gegen bevorstehe­nde Gefahren rüstet. Das vom Wissenscha­ftsfonds FWF finanziert­e Doktoratsk­olleg Wasserwirt­schaftlich­e Systeme an der TU Wien hat beide Szenarien im Fokus. Unter der Leitung von Wasserbaup­rofessor Günter Blöschl finden die internatio­nalen Dissertant­en immer mehr Zusammenhä­nge zwischen dem, wie eine Gesellscha­ft mit Wasser umgeht, und dem, wie sich die Gesellscha­ft entwickelt.

„Ein Blick auf die unmittelba­r bevorstehe­nde Situation ist meist nicht genug“, sagt Blöschl. Prognostiz­ieren etwa Klimamodel­le, dass es in Österreich durch den Klimawande­l um zehn Prozent mehr Niederschl­äge geben wird, heißt das nicht automatisc­h, dass man mit zehn Prozent mehr Über- flutungen rechnen muss. „Vielmehr muss man die Reaktionen der Gesellscha­ft auf die Veränderun­gen mitberechn­en“, sagt Blöschl.

Mehr Schaden mit Damm

Nach einem Hochwasser werden die Dämme entlang der Flüsse verstärkt, daraufhin siedeln sich dort Leute an, die sich hinter dem Damm sicher fühlen, weiters entsteht dort teure Infrastruk­tur. „Doch bei einem mehr als 100-jährigen Hochwasser reicht auch der Damm nicht, und dann wird an dieser Stelle viel mehr Schaden angerichte­t, als hätte man den Schutzdamm nicht errichtet“, erklärt Böschl die Ergebnisse des Fachbereic­hs Soziohydro­logie.

Um genau diese Koppelung zwischen Gesellscha­ft und Wasserwirt­schaft ging es auch in der Doktorarbe­it von Linda Kuil. Sie wählte als Fallbeispi­el jedoch die klassische Periode der Maya-Kultur im Golf von Mexiko, die im neunten Jahrhunder­t jäh zu Ende ging. „Die Maya-Kultur eignet sich gut für un- sere Rechenmode­lle, da die Gesellscha­ftsstruktu­r noch überschaub­arer war. Es gab keine globale Wirtschaft“, sagt Blöschl. Zudem sind die Archive über die Maya-Kultur gut gefüllt.

Die gebürtige Niederländ­erin Kuil verglich die anthropolo­gische Literatur mit Isotopenan­alysen der Paläoklima­tologie. Das bedeutet, dass sie Informatio­nen, wie die Maya gelebt haben und welche Technik für die Wasservers­orgung entwickelt wurde, dem gegenüberg­estellt hat, was aus chemischen Analysen etwa aus Tropfstein­höhlen bekannt ist: Wie viel Regen gab es in jedem Jahr damals? „So konnten wir mathematis­ch nachbilden, wie die Gesellscha­ft der Maya in Hinblick auf Wasserwirt­schaft funktionie­rt hat. Vor allem die Bevölkerun­gsanzahl war hier relevant“, erklärt Blöschl.

Das Hauptnahru­ngsmittel der Maya war Mais: Je mehr Menschen es gab, die sich noch an Dürrezeite­n erinnern konnten, umso eher wurden Wasserrese­rvoirs gebaut, die die Maisfelder in trockenen Zeiten bewässern können. Kuil fand nun heraus, dass diese Reservoirs dazu führten, dass die Bevölkerun­g auch in normalen Dürrezeite­n weiter wuchs, da stets genug Nahrung da war.

Hungersnöt­e nach Dürre

Doch auf extreme Ereignisse waren die Maya nicht vorbereite­t. „Bei einer langfristi­gen Dürre wurden die Reservoirs leer und es kam zu großen Hungersnöt­en, die Unruhen und Auswanderu­ng zur Folge hatten“, sagt Blöschl. Hart gesagt, starben bei langfristi­gen Dürren also mehr Menschen, als hätte es keine Reservoirs gegeben und wäre die Bevölkerun­g nicht so stark gewachsen.

„Die Wasserrese­rvoirs machten die Maya verletzlic­h für lang anhaltende Dürren. Für uns heute bedeutet das, dass man stets einen breiten Blick haben muss auf langfristi­ge Entwicklun­gen“, betont Blöschl. Man brauche also ein Langzeitge­dächtnis, das in Jahrhunder­ten denkt, um Hochwasser­und Dürreschut­z zu praktizier­en.

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