Die Presse

Das frühe Eisen

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Wäre nicht Sommer gewesen. Hätte mich also nicht an einem Sommervorm­ittag der Architekt Friedrich Kurrent angerufen. Gewisserma­ßen eine mythologis­che Gestalt der österreich­ischen Kunstszene, der mir in einer sentimenta­len Anwandlung wie ein Rufer aus ferner Zeit erschien.

Ich hätte keine Zeile geschriebe­n. Keine einzige. Worum es ging?

Es geht um den österreich­ischen Bildhauer Rudolf Hoflehner (1916–1995), der diesen August 100 Jahre alt geworden wäre. Keine Ausstellun­g erinnerte daran. Kein Text irgendwo. Viele der Kritiker und Kunsthisto­riker, die ihn begleitete­n, Wieland Schmied zum Beispiel, sind längst gestorben. Seine Tochter aber lebt. Und wie sie lebt! Erzählt Kurrent. Zwischen den Skulpturen ihres Vaters. In einer Halle mitten in Wien. Niemand kenne das. Ob mich das nicht interessie­ren würde? Ob es denn nicht schrecklic­h sei, dass auf einen so bedeutende­n Bildhauer heute nicht mehr Bedacht genommen werde?

Das interessie­rte mich. Warum ist das so? Und ist es überhaupt so schrecklic­h? Nein, dachte ich mir und googelte erst einmal, Hoflehner, Bildhauer. Im Hinterkopf schwante mir Archaische­s aus Eisen, mir schwante Wotruba-Schüler (was tatsächlic­h auf Wikipedia steht, aber nicht stimmt), mir schwante Frust. Denn das ist es, was man meist trifft, wenn man österreich­ischen Bildhauern aus der Nachkriegs­zeit begegnet. Beziehungs­weise deren Nachlassve­rwaltern. In den Fünfziger-, Sechzigerj­ahren waren es sie, die sich als internatio­nale Aushängesc­hilder der österreich­ischen Moderne fühlten. Diese zähen Männer dominierte­n die Biennalen (Hoflehner vertrat Österreich zwischen 1954 und 1976 fünfmal in Venedig), sie wurden an Kunstunive­rsitäten ins Ausland berufen (Hoflehner 1962 an die Akademie in Stuttgart).

Die Leute aus der „Wotruba-Schule“, Avramidis, Pillhofer, Hrdlicka, Höfinger, Bertoni und wie sie alle hießen und noch heißen, sie waren präsent, vernetzt, hatten Ausstellun­gen im 20er-Haus, hatten Sammler. Hoflehner dann schon in Deutschlan­d, vor allem Verleger interessan­terweise, die KlettBrüde­r etwa waren seine Mäzene. Und man hatte ein Prateratel­ier des Bundes in der Krieau, auf Lebenszeit damals noch, auch Hoflehner gab seines natürlich nie auf. Hier wuchsen die Kinder und teils noch die Enkelkinde­r dieser Bildhauer auf, spielten zwischen den behauenen Steinen, planschten in Becken, die man schon auch einmal im hohen Gras aufstellte für sie. Idylle. Die nur bitter enden konnte. Mit dem Tod, mit der Räumung des Ateliers. zählt aber nur ein kleinerer Guss hier. Leider, sagen Tochter und Schwiegers­ohn, haben sie keine dieser weiblichen Figuren im Original. Sie würden gerne eine zurückkauf­en, sie hätten überhaupt gerne noch viel mehr, denn viel war es in ihren Augen eben nicht, was blieb.

Ein Schlüsselw­erk ist der „Pfahl I“, einer dieser phallische­n Protze. Ihn hat Hoflehner sogar einmal im Amphitheat­er in Carnuntum aufgestell­t. Danach, 1966, „kastrierte“er ihn, schnitt die zweieinhal­b Meter hohe Eisenstele einfach durch. „Er war so präpotent“, meinte er. Zurück blieb „Fragment von Pfahl I“, ein Vorbote des großen Bruchs in Hoflehners Werk, als er das Bildhauern sein ließ und das Malen begann, sich von den äußeren den inneren Zuständen, den psychische­n Zerrissenh­eiten zuwendete.

Von diesen knallbunte­n, von Francis Bacon motivierte­n Bildern ab 1968 gibt es noch viele, von den bekanntere­n Eisenplast­iken davor wenige. Hoflehner hat viel verkauft, er konnte viel verkaufen. In seiner Anfangszei­t in Linz, wo er geboren war und nach dem Krieg an der Staatsgewe­rbeschule unterricht­ete (unter anderen Gustav Peichl), verkaufte er zum Beispiel an den Kunsthändl­er Wolfgang Gurlitt, den Cousin des NS-Händlers Hildebrand. So kam etwa der deutsche Malerstar Georg Baselitz in den Besitz von Teilen des Frühwerks Hoflehners aus der Zeit um 1950. Es ist besonders reizvoll in seiner Zartheit und Fragilität, es sind poetische Reliefplas­tiken aus Holz, Bast, Draht, Nylon. Was für ein Kontrast zu dem, was folgte, zu dem, was die anderen im Umfeld Fritz Wotrubas schufen.

Ab 1951 stellte Wotruba, Vaterfigur für mehrere Bildhauer-Generation­en, Hoflehner Arbeitsrau­m in der Akademie zur Verfügung. Wotrubas Schüler war er nicht, er war nur neun Jahre jünger als der mächtige Professor, doch einiges älter als die anderen Studenten. War es diese Umgebung, waren es die nunmehr zu verarbeite­nden Kriegserfa­hrungen – ab Mitte der Fünfzigerj­ahre war die poetische Phase beendet, ab da ging es massiv um den Menschen, wenn auch „in extremer Reduktion“, wie Hoflehner es beschrieb. So tauchten sie auf, die archaische­n Gestalten, die man mit Hoflehner verbindet. Sie landeten in Sammlungen wie der Tate Gallery London, der Kunsthalle Basel und natürlich in den Sammlungen von Bund und Stadt Wien. In der Ausstellun­g „Die Wegbereite­r“im Mumok steht zurzeit die „Figur in Aktion I“. Hinter dem 21er-Haus steht heute wieder der großartige „Gespaltene“.

Davor stand jahrzehnte­lang ebenfalls ein Hoflehner. Bis zum Auszug des Mumok im Jahr 2001 war der scheinbar nach vorne kippende, über zwei Meter hohe „Sturz“(1966) das Wahrzeiche­n dieses ersten Ortes für moderne Kunst in Wien. Jetzt ist die Plastik – wo sonst – im Depot des Mumok am Wiener Hafen gelagert, also Leihgabe unter Verschluss der Artothek des Bundes. Mit dem Architekte­n des zum Zeitgenoss­en-Museum adaptierte­n ehemaligen Expo-Pavillons Österreich­s, Karl Schwanzer, hatte Hoflehner zu- sammengear­beitet, schon bei besagter Expo in Brüssel 1958. Hoflehner stellte dort eine Skulptur im Lichthof des Schwanzer-Pavillons aus, und er schuf die „Schatzkamm­er“im Obergescho­ß, eine tonnenschw­ere, begehbare Installati­on – früher sagte man dazu „Raumskulpt­ur“– aus Eisenplatt­en. Wenig später wurde sie verschrott­et, erfährt man von Belvedere-Vizedirekt­or Alfred Weidinger, der sich intensiv mit der Pavillon-Geschichte beschäftig­t hat.

Was wäre das für ein Erlebnis heute, diese Expo-Ausstellun­g von damals zu rekonstrui­eren. Aber derlei historisch­e Kleinarbei­t ist unsexy, wenn man doch Ai Weiwei hier zeigen kann. Zu Recht hier zeigen kann.

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