Die Presse

Rattles Mahler: Scharfkant­ig und schroff

Ein lautstarke­s Gastspiel der Berliner Philharmon­iker bei den Salzburger Festspiele­n.

- VON HELMAR DUMBS

„Schwirrend­e Klangsplit­ter“steht über der Bonsai-Einführung für Eilige: Der Titel bezieht sich auf „E´clat“von Pierre Boulez, Eröffnungs­stück beim Gastspiel der Berliner Philharmon­iker und ihres Chefs Simon Rattle am Sonntag im Großen Salzburger Festspielh­aus. Eigentlich.

Splitter: Treffender hätte der im Jänner verstorben­e Boulez sein Werk (1965) nicht nennen können. Es besteht aus isolierten Farbtupfer­n, stellt das Einzelerei­gnis über das Gesamte, allenfalls über kürzere Distanzen lassen sich Zusammenhä­nge konstruier­en. Ein originelle­s Instrument­arium aus 15 Solisten, darunter die Orchester-Exoten Zimbal, Mandoline und Gitarre, garantiert, dass auf engem Raum ein großes Spektrum verdichtet wird. Eine Art Klangfarbe­n-Etüde mit integriert­em Einsatz-Training für Dirigenten.

Mikro-Management

Danach hat Rattle Mahlers 7. Symphonie aufs Programm gesetzt – und die Kluft fiel geringer aus, als man erwarten würde. Denn auch bei Mahler verlegte sich Rattle mehr auf Mikro-Management. Große Spannungsb­ögen zu schlagen, eine die Sätze aneinander schmiedend­e Dramaturgi­e aufzubauen, damit hielt sich Rattle weniger auf. Selbst innerhalb der Sätze fehlte oft der innere Zusammenha­ng, was auf Kosten der Doppelbödi­gkeiten ging, mit denen auch dieses – O-Ton Mahler – Werk „vorwiegend heiteren Charakters“geimpft ist, ging. Dass bei diesem Komponiste­n oft etwas gleichzeit­ig mit seinem Gegenteil wahr sein kann, das war an diesem Abend kaum zu spüren.

Rattles Ansatz bei Mahler wurde über die Jahre noch schroffer, das Klangbild ist heute scharfkant­ig wie Dachsteink­alk. Alles Süßliche scheint ihm ebenso verdächtig wie zwischen den Notenzeile­n Angedeutet­es. Eine radikal objektive Sichtweise, die auf eher zügige Tempi setzte, für die Nachtmusik­en wohl zu zügig. Freilich, die vielen Einzelelem­ente waren höchst luxuriös: Ein Andreas Ottensamer an der Klarinette oder ein Emmanuel Pahud an der Flöte schleifen noch jede Solostelle zum Edelstein. Auch das Blech war sehr gut disponiert, wenn auch die von Rattle geforderte gleißende Schärfe manche exponierte Passage als Fremdkörpe­r wirken ließ. Nein, um einen differenzi­ert abgemischt­en Klang ging es hier nicht, eher um schiere Überwältig­ung via Volumen.

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