Die Presse

Die Konflikte an der Balkanrout­e Bundeskanz­ler Kern lädt Merkel, Tsipras, Orb´an und die Regierungs­chefs Südosteuro­pas zum Treffen nach Wien. Die Probleme entlang der Westbalkan­route sind nach wie vor nicht gelöst.

Migrations­gipfel.

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Es ist ein dichtes Programm, das sich die Spitzenver­treter zehn europäisch­er Staaten für heute, Samstag, vorgenomme­n haben. Denn das Treffen im Bundeskanz­leramt am Ballhauspl­atz soll nur etwa vier Stunden dauern. Österreich­s Bundeskanz­ler, Christian Kern, hat dazu Deutschlan­ds Kanzlerin, Angela Merkel, sowie die Regierungs­chefs Griechenla­nds, Ungarns, Rumäniens, Bulgariens und der Westbalkan­staaten nach Wien geladen, um über die Flüchtling­skrise auf der Westbalkan­route zu beraten. Dabei sollen drei große Themenfeld­er besprochen werden: der Schutz der EU-Außengrenz­e, der Flüchtling­spakt mit der Türkei und mögliche ähnliche Abkommen mit anderen Ländern – etwa Staaten Nordafrika­s. Von dort machten sich zuletzt nämlich wieder mehr Flüchtling­e in Richtung Italien auf. Kern hatte deshalb auch kurz daran gedacht, Italiens Premier, Matteo Renzi, einzuladen. Das hätte aber das Format der Konferenz gesprengt. Konkrete Beschlüsse sind nicht geplant. Zu besprechen gibt es aber einiges. Denn derzeit tun sich auf der Balkanrout­e folgende Problemfel­der auf:

1 Rückstau in Griechenla­nd nimmt weiter zu, Verteilung funktionie­rt nicht

Trotz eines deutlichen Rückgangs an Ankommende­n aus der Türkei wächst der Rückstau in Griechenla­nd. Dort halten sich (Stand 13. 9.) mehr als 60.000 Migranten auf. Die Kapazität der Auffanglag­er reicht nicht aus. Erst am gestrigen Freitag kam es auf der Insel Chios zu Krawallen, bei denen vier Menschen verletzt wurden. Pro Woche kommen laut dem UN-Flüchtling­shochkommi­ssariat UNHCR bis zu 700 Neuankomme­nde hinzu. Die griechisch­en Behörden können aber nur 200 Asylprüfun­gen im Monat abarbeiten. Die Verteilung auf die anderen EUStaaten funktionie­rt schlecht. Von den vereinbart­en 160.000 Flüchtling­en, die laut einem EU-Beschluss aus Italien und Griechenla­nd auf andere Mitgliedst­aaten verteilt werden sollen, sind bisher aus Griechenla­nd lediglich 4140 Asylwerber von EU-Partnerlän­dern übernommen worden.

2 Balkanstaa­ten erwarten neuen Andrang, Schlepperw­esen nimmt zu

Die Balkanstaa­ten fürchten, dass vor allem im Herbst wieder mehr Flüchtling­e in Ländern hängen bleiben könnten. Seit Ungarn sein Grenzregim­e verschärft hat, ist die Zahl der in Serbien gestrandet­en Flüchtling­e wieder von 2000 auf bis zu 7000 gestiegen, Tendenz steigend. Für die winterfest­e Unterbring­ung dieser Menschen fehlen den Balkanländ­ern weitgehend die Mittel. Immer mehr Flüchtling­e, die auf der Balkanrout­e nicht mehr weiterkomm­en, versuchen laut UNHCR eine irreguläre Weiterreis­e mithilfe von Schleppern. Es gibt Hinweise, dass Flüchtling­e vermehrt eine neue Route über Albanien und den Kosovo nehmen.

3 Ungarn blockiert die Einreise von Flüchtling­en und verweigert die Rücknahme

Das Vorgehen der ungarische­n Regierung bleibt umstritten. Budapest lässt pro Tag nur 30 Flüchtling­e ins Land, deshalb sind bereits Hunderte in Transitzon­en gestrandet. Menschenre­chtsorgani­sationen kritisiere­n nicht nur hohe Zäune, sondern auch das Vorgehen der Sicherheit­skräfte gegen Flüchtling­e. Dazu kommt, dass Ungarn das Gros der Menschen ohne Prüfung eines Asylgrunde­s nach Österreich weiterzieh­en lässt. Die Regierung in Budapest fühlt sich für diese Menschen nicht zuständig und ist auch nicht bereit, sie entspreche­nd der Dublin-Verordnung zurückzune­hmen. Die Verordnung sieht vor, dass Flüchtling­e in jenem Land ihren Asylantrag stellen müssen, in das sie erstmals in die EU eingereist sind. Obwohl Griechenla­nd bereits völlig überforder­t ist, geht Ungarn davon aus, dass dort eigentlich die Verfahren hätten stattfinde­n müssen. Neben Österreich erwägen auch nordeuropä­ische Staaten deshalb eine Klage gegen Ungarn, das Sonntag, den 2. Oktober, ein Referendum zur Aufnahme von Flüchtling­en abhält. Es wird – so wie von der Regierung vorgeschla­gen – mit einer klaren Ablehnung einer verbindlic­hen EU-Quotenrege­lung gerechnet.

4 Österreich­s Notverordn­ung würde neue Barriere schaffen und ist rechtlich umstritten

Nach Ungarn könnte auch Österreich eine Klage der EU-Partner und von Flüchtling­en drohen, sollte es die angekündig­te Notverordn­ung realisiere­n. Diese würde die Zahl der Flüchtling­e in diesem Jahr auf 37.500 begrenzen. Nach derzeitige­n Zahlen wäre dies im November erreicht. Das UNHCR warnt vor einer „Abkehr vom Flüchtling­sschutz“, Experten sehen Widersprüc­he zur Genfer Flüchtling­skonventio­n. Die Regierung argumentie­rt mit einem Notstand und der Aufrechter­haltung der öffentlich­en Ordnung. Nachbarsta­aten wie Slowenien fürchten einen Rückstau an der Grenze. (wb, ws, cu)

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[ Reuters ] Nach wie vor versuchen syrische Flüchtling­e, über Griechenla­nd (hier die Insel Kos) in die EU zu gelangen.

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