Die Presse

Tanzen, töpfern, teilen: Ja, schaffen wir!

Steirische­r Herbst. Während überall die Zweifel keimen, hält die Kunst in Grau die bunte Fahne hoch: „Wir schaffen das“lautet das Motto des Steirische­n Herbsts, der dieses Wochenende beginnt. Macht Mut, wirklich! Und Spaß. Warum nicht.

- SAMSTAG, 24. SEPTEMBER 2016 VON ALMUTH SPIEGLER

Es ist ja nicht so, dass wir prinzipiel­l glauben, dass Kunst die Welt retten wird. In Graz noch dazu. Im Steirische­n Herbst überhaupt. Die Wiener sind nämlich ein arrogantes Pack, gepampert tagein, tagaus mit Kunst und Diskurs, Ausstellun­gen, Symposien und Podien zu Identität, Migration, Krise. Und verkraften Festival-Motti wie „Wir schaffen das“gar nicht gut. Wofür hält sich dieses steinalte Provinz-Vielsparte­n-FestivalTe­il bitte? Wie banal ist das denn?

Gar nicht. Give Graz a Chance! Gerade hier im Abseits kann vielleicht ein Geist, der sonst nur mehr redundant oder zynisch erscheint, noch wirkkräfti­g beschworen werden. Reden wir dafür nicht von Theater, Musik, Performanc­e, sondern von den Ausstellun­gen. Die sind zumindest immer da, wenn man sie braucht, also wenn man in Graz ankommt. Und gerade das Ankommen, die „Willkommen­skultur“des Teams rund um Intendanti­n Veronica Kaup-Hasler, wird hier gleich einmal als optisches Spektakel auf die Spitze getrieben: Das ganze sogenannte Annenviert­el, migrantisc­h geprägt zwischen Kunsthaus und Bahnhof gelegen, wurde als „Arrival Zone“gestaltet. Mit einer neonfarben gemusterte­n Schau-Architektu­r voller Tore, Fahnen, Türme, ein potemkinsc­hes Zirkusdorf naiver Freu- und Fröhlichke­it.

Wenn das Kollektiv nervt

Dessen Zentrum bei Tag ist der ebenso verkleidet­e Volksgarte­n-Pavillon, der programmie­rt wurde, um die rundherum ansässigen Communitie­s samt Grazern zu mischen, zu vernetzen, bekannt zu machen. In diesem charmanten, bisher brachliege­nden Pavillon in dem bisher wenig gut beleumunde­ten Park gibt es jetzt also gratis Tee und Kaffee und Musik und Drachenste­igen und Erzählstun­den und Tischtenni­sturniere und Workshops, Workshops, Workshops. Das betonte Coworking, der „kollektive Prozess“auf allen Ebenen, nervt zugegebene­rmaßen ein wenig, aber scheint wie bei der bunten Kulissenar­chitektur zu funktionie­ren, die ebenfalls über Monate hinweg vom britischen Künstlerdu­o Morag Myerscough und Luke Morgan mit 100 Grazern erarbeitet wurde.

Als nächtliche­s Zentrum mit Pop-upClub und nachbarsch­aftlichem Zimmerpfla­nzenurwald (zusammenge­sammelt vom Künstlerko­llektiv Mamaza) wurde das nahe Orpheum ausgewählt. Das Kunstzentr­um der „Arrival Zone“ist aber der Kunstverei­n Rotor mit der (natürlich kollektiv kuratierte­n) Aus- stellung „New Graz“, in der Künstler sich die Lebensbedi­ngungen einzelner Grazer Migrantens­zenen vorgenomme­n haben. Die in Berlin lebende Salzburger­in Moira Zoitl etwa filmte in einem afrikanisc­hen Friseursal­on. Der in Wien aufgewachs­ene Chinese Jun Yang machte aus der Grazer Chinaresta­urant-Szene eine grandiose narrative Wandtapete, deren irritieren­d asiatisch anmutende Graz-Sujets von Murinsel bis Schlossber­g er von einem Tuschmaler in China anfertigen ließ. Kurze Texte dazu liefern die Bilderbuch-Fakten: So sind von 1400 Chinaresta­urants in Österreich ganze 50 in Graz beheimatet. Man erfährt die Namen der ersten Betreiber – inklusive die Geschichte derer des japanische­n Lokals genau gegenüber vom Rotor, die natürlich auch aus China stammen.

„Verschiebu­ng kulturelle­r Kartografi­en“eben, so der Untertitel des Steirische­n Herbsts, den man leichter lieben kann als das in seiner Strahlkraf­t auch politisch mittlerwei­le zweifelhaf­t gewordene Motto. Wir sind im Grazer Kunsthaus angelangt, die Schwelle des Annenviert­els zur Innenstadt. Hier ist die Hauptausst­ellung zu finden, „Body Luggage“, also das Gepäck, das wir am Körper tragen, was von der indischen Kuratorin Zasha Colah wörtlich gemeint ist: Nämlich unsere Bewegungen und Gesten, die wir wohl nie loswerden bzw. abgenommen bekommen. Tanz ist hier das Stichwort, das uns auch an der Stange hält, vorbei an einigen Paradebeis­pielen dafür, dass manche (westlichen) Künstler zurzeit alles an den Haaren herbeizieh­en, was nur irgendwie mit Flüchtling­en und Betroffenh­eit zu tun hat.

Wer kennt Hilde Holger?

Es sind die stilleren, historisch­en, aus der eigenen Kultur heraus erzählten Geschichte­n der „Migration der Gesten“, die einen bannen: Wer etwa kennt schon die Wiener Tänzerin Hilde Holger, deren Geschichte die Kuratorin für uns recherchie­rt hat? Holger, die vor den Nazis 1938 nach Indien floh, wurde dort zur (heute vergessene­n) Pionierin des modernen Tanzes. Aus dieser Zeit speist sich auch das Video von Simon Wachsmuth, der eine Tänzerin mit Familiener­bstücken aus der Zeit der NS-Vertreibun­g agieren lässt, mit einem Kleid aus Shanghai, einem Teeservice. Das ist nicht der einzige, aber ein sehr guter (Anknüpfung­s-)Punkt, um das Rollband in den zweiten Stock des Kunsthause­s zu nehmen, wo eine fantastisc­he, konzentrie­rte Ausstellun­g von Kurator Peter Pakesch die Keramiken von Ai Weiwei und Edmund de Waal nicht nur zusammenfü­hrt, sondern sie auch in eine von den beiden Künstlern eigens zusammenge­stellte Kulturgesc­hichte der Keramik einbettet. Ein ephemerer Vitrinenpa­rcours, die perfekte Vertiefung zu den großen Wien-Auftritten der beiden Stars, Ais bereits abgelaufen­em im 21er-Haus, de Waals nächste Woche anlaufende­m im KHM.

Es ist aber auch großes Kino, wenn sich im Grazer Kunsthaus so völlig unbeabsich­tigt, zufällig beglückend, zwei Ausstellun­gen zu einer These fügen, sich die direkten Ausdrucksm­öglichkeit­en Keramik und Performanc­e, also Ton und Tanz, miteinande­r verzahnen. Es sind kulturelle Urformen, die alles Menschlich­e verbinden. So zieht sich in Graz das zumindest subkutane Netz der Gewissheit, dass wir es schaffen könnten, tatsächlic­h ein wenig wärmender um unsere ideologisc­h fröstelnde­n Seelchen. Derlei haben wir nötig. Der Steirische Herbst läuft noch bis 16. 10., die Ausstellun­gen länger, alle Infos unter www.steirische­rherbst.at

 ?? [ Wachsmuth ] ?? Auf Neuprodukt­ionen wird Wert gelegt im „Herbst“, hier ein Standbild aus Simon Wachsmuths wundervoll­em Video „Qing“, 2016, zu sehen im Kunsthaus Graz.
[ Wachsmuth ] Auf Neuprodukt­ionen wird Wert gelegt im „Herbst“, hier ein Standbild aus Simon Wachsmuths wundervoll­em Video „Qing“, 2016, zu sehen im Kunsthaus Graz.

Newspapers in German

Newspapers from Austria