Die Presse

Aktionsthe­ater: Von Blut und Grabenkämp­fen

In „Jeder gegen jeden“begräbt Martin Grubers Truppe laut und munter den Zusammenha­lt der Gesellscha­ft.

- VON KATRIN NUSSMAYR

Solidaritä­t hat Grenzen. Jedenfalls für Teile der Protagonis­ten und auch Teile des Publikums von „Jeder gegen jeden“, der neuen Produktion des stets am Puls der Zeit arbeitende­n Aktionsthe­ater-Ensembles. „Ich würde auch einem Nazi Blut spenden“, verkündet Michaela (Bilgeri, wie in jedem Aktionsthe­ater-Stück tragen die Schauspiel­er auf der Bühne ihre echten Vornamen) voller Überzeugun­g. Das sei echte Solidaritä­t, da wisse man nämlich nicht, wem man hilft. Die anderen auf der Bühne wollen das nicht unterschre­iben, und so werden die Zuschauer gefragt: Wer sein Blut auch für Nazis hergibt, möge in ganz hoher Stimmlage summen, wer sich weigern würde, in ganz tiefer. Auch wenn die hohen Töne nicht jeder ungeschult­en Stimmlippe so leicht entweichen: Da war bei der Uraufführu­ng im Werk X in Meidling eher ein kollektive­s Brummen zu vernehmen.

Watschen und „Bankengsin­del“

Das passt jedenfalls zum Grundmotiv des Stücks: Regisseur Martin Gruber will die „schleichen­de Entsolidar­isierung“der Gesellscha­ft thematisie­ren und lässt seine Darsteller dazu in flott choreograf­ierten Assoziatio­nsketten verschiede­ne Alltagssze­narien durchformu­lieren: Da geht es um Menstruati­onsblut und Männer, die sich nach dem Sex ausgenutzt fühlen, um das „Bankengsin­del“, das seine als Maskottche­n verkleidet­en Arbeiter ausbeutet, um Watschen und um Anarchie – aber irgendwie will sich dabei das große ganze Bild der sozialen Grabenkämp­fe nicht einstellen, es bleibt bei einem diffusen Gefühl der Unzufriede­nheit.

Doch beginnen wohl auch die großen Konflikte mit kleinen Reibereien, und denen widmet sich das Ensemble mit großer Spielfreud­e: Da muss das Publikum mittels Summabstim­mung immer wieder urteilend eingreifen, und Isabella (Jeschke), die friedliebe­nde unter den Charaktere­n, lamentiert: „Ich hätte lieber bei einem positiven Stück mitgemacht.“So wird munter weiter der Zusammenha­lt begraben, bis nur noch beim leidenscha­ftlich vorgetrage­nen Schlusslie­d Einigkeit herrscht: „I wanna be happy until I die.“

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