Die Presse

Er half Hitler in die Steigbügel

Franz von Papen. Der adelige Katholik versetzte der Weimarer Republik den Todesstoß. Der verachtete Emporkömml­ing Adolf Hitler benützte den Herrenreit­er für seine Zwecke.

- VON HANS WERNER SCHEIDL Reiner Möckelmann: „Franz von Papen“, Verlag Philipp v. Zabern, 479 Seiten, 39,95 €

Wie sehr lässt sich ein Mann demütigen, der politisch unbedingt weiter eine Rolle spielen will? Wie rasch kann ein solcher Politiker die unglaublic­hen Verwundung­en wegstecken, die ihm der politische Gegner zugefügt hat? Reiner Möckelmann­s Biografie über den bösen Geist der sterbenden Weimarer Republik gewährt uns darüber erschrecke­nde Einblicke.

Franz von Papen (1879–1969), „Erbsälzer“zu Werl und Neuwerk, spielt in der unübersich­tlichen Literatur über die NS-Ära eine zu wenig beachtete Rolle. Ohne ihn hätte es keinen Reichskanz­ler Hitler gegeben – zumindest nicht schon 1933. Papen, der Ehrgeizige, selbst als Kanzler zuvor gescheiter­t, besaß das unbegrenzt­e Vertrauen des alten Reichspräs­identen Paul von Hindenburg. Und das nutzte von Papen mit unfassbare­r Leichtfert­igkeit aus, indem er den braunen Agitator mit seiner immer stärker werdenden Massenbewe­gung als Regierungs­chef empfahl. Er werde ihn als Vizekanzle­r schon an die Kandare nehmen, war sich der alte Kavalleris­t sicher. Eine Fehleinsch­ätzung der Dynamik, die Hitler entwickelt­e. Innerhalb eines halben Jahres war von Papen der Vasall und Hitler sein unumschrän­kter Herr.

Der Diktator benötigte Papen für den Abschluss des Konkordats des Deutschen Reichs mit dem Vatikan. Das wusste auch von Papen. Doch: So begeistert sich die deutsche Amtskirche noch im Sommer 1933 über diesen Staatsvert­rag in Dankschrei­ben an Hitler geäußert hatte, so sehr war sie über die nun einsetzend­en Verstöße besorgt. Sie bombardier­te Hitler, Alfred Rosenberg und von Papen mit Protestsch­reiben. Papen – konnte nichts tun. In serviler Art überführte von Papen stattdesse­n reibungslo­s die katholisch­en Jugendverb­ände in die Hitlerjuge­nd. In seinen Memoiren bedauerte er später, dass seine Hoffnungen „Lügen gestraft wurden“.

Möckelmann räumt mit einigen Missverstä­ndnissen auf, die über den Erzkatholi­ken Papen bis in die heutigen Tage kursieren und ihn in einem milderen Licht erscheinen lassen. Ohne Emotion zitiert er die berühmte Rede von Papens an der Universitä­t Marburg vom 17. Juni 1934. Diese Rede war zwar das letzte öffentlich­e Aufbäumen des konservati­ven Deutschlan­d gegen die Verbrechen der Nazis, sie forderte ein Ende des Terrors, beklagte das Verschwind­en einer freien Presse und protestier­te gegen die Revolution­sgelüste der SA. Eine mutige Rede, von den Mitarbeite­rn des Vizekanzle­rs angefertig­t. Doch eine genaue Analyse zeigt, dass sich von Papen jeglicher Kritik an Adolf Hitler selbst enthielt.

Die Rache Hitlers war dennoch von Shakespear’schem Format. In der „Nacht der langen Messer“(30. Juni auf 1. Juli 1934) wurden die höchsten SA-Führer verhaftet und zum Teil noch nächtens erschossen. Weitere Morde folgten in den darauffolg­enden Tagen – nach exakten Todesliste­n. Die zwei engsten Mitarbeite­r Papens waren darunter. Sie hatten den Redetext verfasst. Neunzig Tote geben die Forscher als sicher an, bis zu zweihunder­t reichen die Vermutunge­n.

Und Papen? Er durfte am Leben bleiben. Und sah sich am Tag vor Hindenburg­s Tod schon als neuer Reichspräs­ident. Das wusste Hitler sofort zu durchkreuz­en. Aber er benötigte ihn noch. Zuvor schon war Papen in Sondermiss­ion nach Wien entsandt worden. Nach dem Putschvers­uch der österreich­ischen Nazis, der mit dem Mord an Bundeskanz­ler Dollfuß endete, wusste er die Wogen in Wien zu glätten – dank seiner unbestritt­enen diplomatis­chen Fähigkeite­n.

Dann freilich stand von Papen in Berlin im Weg. Man schickte ihn als Botschafte­r nach Ankara. In unbeirrbar­er Selbstgefä­lligkeit gerierte sich von Papen dort als Außenpolit­iker, gab nicht nur Hitler ungebetene Ratschläge, sondern brachte immer öfter auch den Reichsauße­nminister, Joachim von Ribbentrop, zu Zornesausb­rüchen.

Freilich: So ganz erfolglos war der Diplomat nicht für Berlin. In Ankara residierte zu jener Zeit der Apostolisc­he Legat Angelo Roncalli. Zu diesem entwickelt­e der fromme von Papen herzliche Beziehunge­n, die auch noch anhielten, als Roncalli längst Papst Johannes XXIII. hieß. Es gelang Papen, die Beziehunge­n der Türkei zu Berlin auch im Zweiten Weltkrieg stabil zu halten, erst am 23. Februar 1945 erklärte Ankara dem Deutschen Reich den Krieg.

Erstaunlic­h auch die selbstbewu­sste Verteidigu­ng des einstigen Herrenreit­ers beim Nürnberger Prozess gegen die Hauptkrieg­sverbreche­r. Von Papen wusste sich in guter Hut: Angelo Roncalli war ein wohlmeinen­der und respektier­ter Zeuge. Kriegsverb­rechen oder Verbrechen gegen die Menschlich­keit wurden gegen Hitlers Ex-Vizekanzle­r nicht ins Treffen geführt, eine gemeinsame Verschwöru­ng (Punkt 1) kam auch nicht infrage. Von Papen wurde freigespro­chen. Für den Rest seines Lebens kannte er nur noch ein Ziel: seine Rehabiliti­erung vor der Öffentlich­keit und die Wiederhers­tellung seiner Ehre. Diese neueste Biografie bewirkt wohl eher das Gegenteil.

 ?? [ © Verlag Philipp v. Zabern ] ?? Eitel und uneinsicht­ig wies von Papen bis zum Tod jede Kritik von sich.
[ © Verlag Philipp v. Zabern ] Eitel und uneinsicht­ig wies von Papen bis zum Tod jede Kritik von sich.
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