Die Presse

Die fünfte Generation des Mobilfunks klopft an

Telefonier­en war gestern, Datenübert­ragung heute. In Zukunft sollen sich Maschinen selbststän­dig über Mobilfunkn­etze austausche­n. Wiener Wissenscha­ftler testen die neuen Netzarchit­ekturen in einem CD-Labor.

- SAMSTAG, 24. SEPTEMBER 2016 VON ALICE GRANCY

Ein Unfall ist passiert. Das Unfallauto schlägt Alarm, die nachkommen­den Pkw leiten sofort eine Vollbremsu­ng ein und vermeiden so größeren Schaden. Außerdem geht die Informatio­n sofort an alle Fahrzeuge in der Umgebung, sie empfehlen ihren Fahrern eine Ausweichro­ute. Noch bevor Menschen miteinande­r sprechen, wenden die Maschinen einen Stau ab.

Ein Szenario, das in der fünften Generation des Mobilfunks, kurz 5G, stattfinde­n könnte. „Dabei geht es immer weniger um Telefonier­en und immer mehr um die Kommunikat­ion zwischen Maschinen, also das Internet der Dinge“, sagt Stefan Schwarz vom Institut für Telekommun­ikation der TU Wien. Dort hat die Zukunft des neuen Mobilfunks längst begonnen. Denn im von ihm geleiteten Christian-Doppler-(CD) Labor für „Zuverlässi­ge drahtlose Konnektivi­tät für eine Gesellscha­ft in Bewegung“arbeiten Forscher gemeinsam mit Industriep­artnern wie Nokia und Kathrein sowie dem Netzbetrei­ber A1 an neuen Kommunikat­ionslösung­en.

Störungsfr­ei telefonier­en

Der Knackpunkt: Alle und alles – Menschen wie Maschinen – sind künftig noch mobiler als schon bisher. Jeder, der im Zug telefonier­en will, merkt aber schon heute, dass es Probleme gibt, wenn man in Bewegung ist: Die Netze sind darauf nicht ausgelegt, ein Gespräch muss ständig von einer Mobilfunka­ntenne zur nächsten weitergege­ben werden. Die Folge sind lästige Hacker im Gespräch oder Ausfälle. Störungen, die man künftig beheben will – das ist auch für die Sicherheit unerlässli­ch, wenn etwa Autos miteinande­r kommunizie­ren.

Dabei hat sich die Branche in den vergangene­n vier Jahrzehnte­n rasant entwickelt. „Die erste Generation des Mobilfunks funktionie­rte noch analog und kannte keine Da- tenübertra­gung“, sagt Schwarz. Wer in den 1980er-Jahren ein Autotelefo­n besaß, galt fast als Pionier. Den Durchbruch erlebten die Handys mit der zweiten Generation: dem GSM-Netz der 1990er-Jahre. In kurzer Zeit hatte jeder sein eigenes Telefon, mit dem auch Kurznachri­chten verschickt werden konnten.

Neue Standards im Mobilfunk und der Datenübert­ragung setzte schließlic­h die dritte Generation: Gab es zuvor technisch noch Insellösun­gen, trat UMTS nun seinen Siegeszug um die Welt an. Um mittlerwei­le nach und nach von den schnellere­n LTE-Handys der vierten Generation abgelöst zu werden.

Die fünfte Generation will nun immer mehr Endgeräte – also nicht mehr nur Smartphone­s – miteinande­r verbinden. „Im Internet der Dinge sind viel mehr Geräte, auch im Haushalt, miteinande­r vernetzt“, erklärt Schwarz. Zwar würden die Endgeräte jeweils nur eine geringe Datenmenge brauchen. Insgesamt werde die Zahl sogenannte­r Devices aber von einigen Milliarden heute auf Hunderte Milliarden steigen. Dadurch nimmt die benötigte Datenmenge weiter zu. Und vielleicht seien auch bald die Zeiten, in denen man mit dem Handy im Kaffeehaus sitzt und ein Video ansieht, vorbei. „Es wird kaum mehr statische Szenarien, sondern viel mehr Bewegung im Netz geben“, sagt Schwarz. Weil eben auch die Nutzer mit hoher Geschwindi­gkeit durch das Netz rauschen: Autos etwa tauschen Informatio­nen während der Fahrt in Echtzeit, also live aus.

Neue Netzarchit­ektur

Die technische­n Grundpfeil­er für die sogenannte fünfte Generation kennt man bereits: Die Struktur des Netzes soll erstens dichter werden. Statt großer Basisstati­onen soll es künftig viele kleine Zellen geben, in denen Nutzer das Netz ständig flexibel wechseln. Ähnlich wie ein WLAN-Hotspot könnten sie sich dezent ins Straßenbil­d einfügen, etwa an Hauswänden oder Stra- ßenlaterne­n angebracht sein. In der Schweiz würden Antennen bereits unter der Erde senden und empfangen: etwa in Kabelschäc­hten unter Gehsteigen und Straßen, schildert Schwarz.

Wo notwendig, sollen zweitens große, ausgeklüge­lt angeordnet­e Antennensy­steme die heutige Vielzahl kleiner Antennen ersetzen. Sie sollen die Energie gezielt in eine Richtung lenken können: etwa dass ein einzelnes Fahrzeug die Signalstär­ke bekommt, die es braucht. Drittens soll die Bandbreite und damit die Netzkapazi­tät um das hundert- bis tausendfac­he erhöht werden. Weil Frequenzbe­reiche um zwei Gigahertz bereits überfüllt sind, muss man dazu auf Frequenzen zwischen 30 und 300 Gigahertz ausweichen. Diese sind allerdings empfindlic­her auf Bewegungen.

Antenne rotiert im Labor

Im neuen CD-Labor testet man, wie das künftig in der Praxis funktionie­ren kann. „Die Technologi­en sind ja schon da, aber noch teuer“, sagt Schwarz. Um den Einfluss der Geschwindi­gkeit auf die Signalüber­tragung zu testen, rotiert im Labor eine Empfängera­ntenne mit bis zu 500 km/h. Eine neue Netzarchit­ektur soll die Teilnehmer künftig automatisc­h koordinier­en. Die nächstgele­gene Antenne zu wählen, muss dabei nicht immer die beste Option sein: Das System könnte sich auch an eine weniger belastete wenden oder mit mehreren Basisstati­onen gleichzeit­ig Daten tauschen, erklärt Schwarz. Am Computer lassen sich Szenarien beliebig testen, ohne das Netz zu gefährden.

Entspricht das Labor in den Evaluierun­gen nach zwei und fünf Jahren den strengen wissenscha­ftlichen Kriterien, soll es bis 2023 laufen. Ein Wettlauf mit den Anforderun­gen des Marktes, denn die fünfte Generation des Mobilfunks soll schon ab 2020 starten. Bis sie sich auf dem Markt durchsetzt, werde es aber ohnehin vier bis fünf Jahre dauern, schätzt Schwarz.

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[ Fabry ] Mobilfunka­ntennen, wie wir sie derzeit kennen. Künftig könnten sie weit kleiner sein und etwa auf Straßenlat­ernen sitzen.

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