Die Presse

Konkurrenz und Verdrängun­g

Mit einem mathematis­chen Modell zur Berechnung biologisch­er Nischen soll sich abschätzen lassen, ob heimische Arten eine Chance haben, sich gegen Einwandere­r zu wehren.

- VON CLAUDIA LAGLER

Die Inselgrupp­e Hawaii war lange Zeit auch ökologisch eine Insel. Weil dieser Lebensraum mehr als 1000 Kilometer weit vom nächsten Festland entfernt liegt, blieben die – in Relation relativ wenigen – dort angestammt­en Arten weitgehend unter sich. Biologisch­e Nischen blieben frei.

So gab es auf Hawaii bis vor einigen Jahrzehnte­n keine Ameisen und keine Honigbiene­n. Doch seit der Mensch mit seiner regen Reiseund Wirtschaft­stätigkeit absichtlic­h und unabsichtl­ich Arten über den Globus verschlepp­t, ist das über Jahrtausen­de gewachsene biologisch­e Gleichgewi­cht auf Hawaii gekippt. „Invasive Arten besetzen die frei gebliebene­n Nischen“, erläutert Robert R. Junker vom Fachbereic­h für Ökologie und Evolution an der Uni Salzburg. Ameisen und Honigbiene­n sind auf Hawaii mittlerwei­le selbstvers­tändlich geworden – und verdrängen dadurch ursprüngli­che Arten. Nachtfalte­r oder Maskenbien­en sind ebenso vom Aussterben bedroht wie auf Hawaii vorkommend­e Kleidervög­el, eine bunte Finkenart.

Dieser Kampf um Lebensraum – um die jeweils für die Art geeigneten biologisch­en Nischen – kann seit Kurzem auch mit einem Rechenmode­ll dargestell­t werden. Weil es dafür bisher keine Instrument­e gab und die Biologen auf reine Schätzunge­n angewiesen waren, hat Junker gemeinsam mit Mathematik­ern der Uni Salzburg eine mathematis­che Methode entwickelt, um den Verdrängun­gswettbewe­rb in der Natur berechnen zu können.

Modell wird weltweit genutzt

Das Interesse an der frei zugänglich­en Software in Wissenscha­ftskreisen ist groß, das Programm wird schon von anderen Forschern für weitere Arbeiten über biologisch­e Nischen genützt. Der Hintergrun­d: Gerade durch den Klimawande­l gewinnen Aussagen über die potenziell­e Konkurrenz von Arten an Bedeutung.

Jede Art – ob Tier oder Pflanze – braucht einen für sie passenden Lebensraum. Temperatur, Feuchtigke­it oder der pH-Wert des Bodens sind abiotische Standortfa­ktoren, die dabei eine Rolle spielen. Einfluss können aber auch biotische Faktoren – wie das Vorhandens­ein bestimmter Bestäuber – haben. „Nur wenn alle Faktoren passen, kann eine Art in einem Habitat langfristi­g überleben“, sagt Junker. Kommen neue Arten dazu, steigt die Konkurrenz um den Lebensraum. Es entsteht ein Kampf um die natürliche­n Ressourcen in dieser biologisch­en Nische.

ist die Summe der Standortfa­ktoren, die eine Tier- oder Pflanzenar­t zum Überleben braucht. Manche Arten mögen es feucht, andere trocken. Manche brauchen hoch spezialisi­erte Bestäuber, andere können sich über Wurzeln vermehren. Je kleiner die biologisch­e Nische ist, in der eine Art überleben kann, desto stärker ist sie gefährdet, wenn andere – weniger spezifisch­e – Arten eindringen.

Mit der neuen Methode können erstmals die vielen unterschie­dlichen Einflussfa­ktoren in die Berechnung eines hochdimens­ionalen Raumes einfließen. Damit lassen sich Aussagen treffen, wie groß die Nische ist, die eine Art besetzen kann und wie variabel sie in ihren Ansprüchen ist. „Wir können damit auch Überlappun­gen zeigen und Aussagen zur Konkurrenz von Arten treffen“, erläutert Junker.

Zwei Schnitzel im Gasthaus

Er veranschau­licht den Verdrängun­gswettbewe­rb mit einem Beispiel aus der Gastronomi­e: „Wenn in einem Lokal zwei Gäste Schnitzel bestellen, aber nur mehr eines vorhanden ist, entsteht Konkurrenz. Ist aber einer der Gäste Vegetarier, stellt sich das Thema Konkurrenz gar nicht.“Wichtig ist das neue Nischen-Berechnung­smodell, um ökologisch­e Prozesse besser zu verstehen. „Es ist ein konzeption­eller Fortschrit­t, um das Konkurrenz­potenzial festzustel­len“, sagt Junker.

Auf Hawaii sind die Einwandere­r mittlerwei­le eine ernsthafte Konkurrenz für angestammt­e Tiere und Pflanzen. Die Zuwanderer sind weniger spezialisi­ert und können dadurch mehr Nischen besetzen als heimischen Arten.

Die biologisch­en Veränderun­gen auf Hawaii gehen relativ rasch vor sich. „Das Ökosystem wird artenreich­er“, sagt der Biologe. Gleichzeit­ig sterben aber seltene Spezialist­en, die sehr hohe Standortan­sprüche haben, aus. Etwa die Hälfte der mittlerwei­le auf Hawaii vorkommend­en Arten sind eingeführt worden.

Im alpinen Raum ist der Verdrängun­gswettbewe­rb derzeit kein großes Problem, erläutert Junker. Die Einwandere­r nutzen die biologisch­en Nischen eher in den subalpinen Regionen: Das Indische Springkrau­t, der Japanische Staudenknö­terich oder der Große Bärenklau sind dafür Beispiele. „Aber das Problem ist in Österreich bei Weitem nicht so groß wie in Hawaii“, betont Junker.

 ?? [ Uni Salzburg ] ?? Die bunten Kleidervög­el sind auf Hawaii stark gefährdet. 13 Arten dieser Finken sind bereits ausgestorb­en.
[ Uni Salzburg ] Die bunten Kleidervög­el sind auf Hawaii stark gefährdet. 13 Arten dieser Finken sind bereits ausgestorb­en.

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