Konkurrenz und Verdrängung
Mit einem mathematischen Modell zur Berechnung biologischer Nischen soll sich abschätzen lassen, ob heimische Arten eine Chance haben, sich gegen Einwanderer zu wehren.
Die Inselgruppe Hawaii war lange Zeit auch ökologisch eine Insel. Weil dieser Lebensraum mehr als 1000 Kilometer weit vom nächsten Festland entfernt liegt, blieben die – in Relation relativ wenigen – dort angestammten Arten weitgehend unter sich. Biologische Nischen blieben frei.
So gab es auf Hawaii bis vor einigen Jahrzehnten keine Ameisen und keine Honigbienen. Doch seit der Mensch mit seiner regen Reiseund Wirtschaftstätigkeit absichtlich und unabsichtlich Arten über den Globus verschleppt, ist das über Jahrtausende gewachsene biologische Gleichgewicht auf Hawaii gekippt. „Invasive Arten besetzen die frei gebliebenen Nischen“, erläutert Robert R. Junker vom Fachbereich für Ökologie und Evolution an der Uni Salzburg. Ameisen und Honigbienen sind auf Hawaii mittlerweile selbstverständlich geworden – und verdrängen dadurch ursprüngliche Arten. Nachtfalter oder Maskenbienen sind ebenso vom Aussterben bedroht wie auf Hawaii vorkommende Kleidervögel, eine bunte Finkenart.
Dieser Kampf um Lebensraum – um die jeweils für die Art geeigneten biologischen Nischen – kann seit Kurzem auch mit einem Rechenmodell dargestellt werden. Weil es dafür bisher keine Instrumente gab und die Biologen auf reine Schätzungen angewiesen waren, hat Junker gemeinsam mit Mathematikern der Uni Salzburg eine mathematische Methode entwickelt, um den Verdrängungswettbewerb in der Natur berechnen zu können.
Modell wird weltweit genutzt
Das Interesse an der frei zugänglichen Software in Wissenschaftskreisen ist groß, das Programm wird schon von anderen Forschern für weitere Arbeiten über biologische Nischen genützt. Der Hintergrund: Gerade durch den Klimawandel gewinnen Aussagen über die potenzielle Konkurrenz von Arten an Bedeutung.
Jede Art – ob Tier oder Pflanze – braucht einen für sie passenden Lebensraum. Temperatur, Feuchtigkeit oder der pH-Wert des Bodens sind abiotische Standortfaktoren, die dabei eine Rolle spielen. Einfluss können aber auch biotische Faktoren – wie das Vorhandensein bestimmter Bestäuber – haben. „Nur wenn alle Faktoren passen, kann eine Art in einem Habitat langfristig überleben“, sagt Junker. Kommen neue Arten dazu, steigt die Konkurrenz um den Lebensraum. Es entsteht ein Kampf um die natürlichen Ressourcen in dieser biologischen Nische.
ist die Summe der Standortfaktoren, die eine Tier- oder Pflanzenart zum Überleben braucht. Manche Arten mögen es feucht, andere trocken. Manche brauchen hoch spezialisierte Bestäuber, andere können sich über Wurzeln vermehren. Je kleiner die biologische Nische ist, in der eine Art überleben kann, desto stärker ist sie gefährdet, wenn andere – weniger spezifische – Arten eindringen.
Mit der neuen Methode können erstmals die vielen unterschiedlichen Einflussfaktoren in die Berechnung eines hochdimensionalen Raumes einfließen. Damit lassen sich Aussagen treffen, wie groß die Nische ist, die eine Art besetzen kann und wie variabel sie in ihren Ansprüchen ist. „Wir können damit auch Überlappungen zeigen und Aussagen zur Konkurrenz von Arten treffen“, erläutert Junker.
Zwei Schnitzel im Gasthaus
Er veranschaulicht den Verdrängungswettbewerb mit einem Beispiel aus der Gastronomie: „Wenn in einem Lokal zwei Gäste Schnitzel bestellen, aber nur mehr eines vorhanden ist, entsteht Konkurrenz. Ist aber einer der Gäste Vegetarier, stellt sich das Thema Konkurrenz gar nicht.“Wichtig ist das neue Nischen-Berechnungsmodell, um ökologische Prozesse besser zu verstehen. „Es ist ein konzeptioneller Fortschritt, um das Konkurrenzpotenzial festzustellen“, sagt Junker.
Auf Hawaii sind die Einwanderer mittlerweile eine ernsthafte Konkurrenz für angestammte Tiere und Pflanzen. Die Zuwanderer sind weniger spezialisiert und können dadurch mehr Nischen besetzen als heimischen Arten.
Die biologischen Veränderungen auf Hawaii gehen relativ rasch vor sich. „Das Ökosystem wird artenreicher“, sagt der Biologe. Gleichzeitig sterben aber seltene Spezialisten, die sehr hohe Standortansprüche haben, aus. Etwa die Hälfte der mittlerweile auf Hawaii vorkommenden Arten sind eingeführt worden.
Im alpinen Raum ist der Verdrängungswettbewerb derzeit kein großes Problem, erläutert Junker. Die Einwanderer nutzen die biologischen Nischen eher in den subalpinen Regionen: Das Indische Springkraut, der Japanische Staudenknöterich oder der Große Bärenklau sind dafür Beispiele. „Aber das Problem ist in Österreich bei Weitem nicht so groß wie in Hawaii“, betont Junker.