Die Presse

Die Physik des Widerstand­s

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DWer traf wen? Wie hieß die Frau des Gastes? Welches Gremium ist gemeint?

Qie beiden Männer kamen von weit her, sie stammten aus derselben eher kühlen Weltregion. In einer südlichen Metropole, in der der Ältere nun schon seit einem Jahrzehnt arbeitete, trafen sie einander.

Dieser, der Gastgeber, war Sohn eines Eisenbahne­rs. Ein guter Schüler und tüchtiger Sportler, hatte er in jungen Jahren unter anderem bei einer Theatergru­ppe mitgewirkt und in einer Chemiefabr­ik gearbeitet, auch Philosophi­e studiert und sich in literarisc­hen Zirkeln seines Heimatland­es umgetan – ehe sein Leben eine bedeutungs­volle Wende nahm. Der andere, um ein Jahr und drei Tage jünger als sein Gastgeber, hatte einen Rechtsanwa­lt zum Vater, eine Offizierst­ochter zur Mutter. 14-jährig hatte er als Wunderkind zu überrasche­n gewusst: als ihm von einem Onkel ein fünfbändig­es „Lehrbuch der Physik“geschenkt wurde, das er bereits kannte und kritisch beurteilte. In Superlativ­en war es weitergega­ngen: Reifeprüfu­ng mit 16 – da erschienen schon seine ersten Beiträge in den „Akademisch­en Berichten“–, bald war er Professor, Kernphysik­er, Orden und Ehrungen folgten zuhauf.

Doch dann der große Bruch, die jahrelange Verbannung wegen „subversive­r Tätigkeit“, das heißt: weil er seine Meinung gesagt hatte. Eben, nicht lange vor seiner Reise in den Süden, war er rehabiliti­ert worden. Es war dies, infolge seines langjährig­en Reiseverbo­ts, erst seine zweite Auslandsto­ur (den Friedensno­belpreis in Oslo hatte stellvertr­etend seine Frau entgegenge­nommen). Ganz anders sein hoher Gastgeber: ein wahrhaft weit gereister Mann.

Entgegen allen Gepflogenh­eiten währte der Empfang lang, fast eineinhalb Stunden, und wie aus unterricht­eten Kreisen verlautete, soll die Audienz auch überaus kurzweilig verlaufen sein. Das Gespräch wurde in der Mutterspra­che des Gastes geführt, auf Russisch. Über den Inhalt vereinbart­e man Vertraulic­hkeit. Der professora­le Besucher bedauerte die „umständebe­dingte Kürze“seiner Reise. Ende der Woche wollte er in die Hauptstadt seines Landes zurückkehr­en, um bei den Wahlen für ein bedeutende­s politische­s Gremium zu kandidiere­n.

Noch im selben Jahr starb er an Herzversag­en. Ein Asteroid ist nach ihm benannt. Sein einstiger Gastgeber wurde gar heiliggesp­rochen.

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