Island braucht die EU nicht
Reykjav´ık. Ein Beitritt ist kein Thema mehr, die Souveränität – vor allem bei Fischereientscheidungen – ist wichtiger.
Normalerweise macht die EU Beitrittskandidaten genaue Vorgaben, doch Island agierte nach fünf Jahren Verhandlungen im März 2015 völlig konträr: Außenminister Sveinsson teilte seinem Amtskollegen aus Lettland, dem turnusmäßig amtierenden EURatspräsidenten, lapidar mit, dass seine Regierung zum Schluss gekommen sei, Island sei kein Beitrittskandidat mehr. Die EU möge die Beitrittsverhandlungen für beendet erklären. Sveinsson sagte nicht, wir brechen die Verhandlungen ab – denn da hätte das Parlament zustimmen müssen. Aber mit diesem Formulierungstrick konnte die konservative Regierungskoalition das ungeliebte Thema EU-Beitritt ad acta legen. Es gab zwar noch Proteste, es wurde über ein Referendum debattiert. Doch dann kamen andere Probleme – Stichwort: Panama-Papers – und heute liegt das Thema im wahrsten Sinn auf Eis.
Dass ein Beitritt angestrebt wurde, war ohnehin nur den wirtschaftlichen Problemen im Jahr 2008 geschuldet. Denn als Island 1944 nach langer dänischer Vorherrschaft in die Unabhängigkeit entlassen wurde, war dem Staat die Souveränität besonders wichtig. 1970 wurde Island Mitglied der Efta, Anfang 1994 trat der EWR-Vertrag in Kraft und später wurde Island Schengen-Mitglied. Es steht damit mit einem Bein in der EU.
Aber einem endgültigen Beitritt widersetzten sich die Isländer, immer war eine Mehrheit dagegen. Hauptgrund ist der Fischfang. Rund zehn Prozent der Wirtschaftsleistung und siebzig Prozent der Exporte entfallen auf die Fischereiwirtschaft. Ein EU-Beitritt würde das Land um die mühsam erkämpfte 200-Meilen-Fischereizone bringen, es könnte Streit um Fischereizonen und Fangquoten geben und zudem müsste sich Island an die strengeren Tier- und Umweltschutzregeln der EU halten (Stichwort: Walfang).
Doch im Gefolge der Lehmann-Pleite in den USA brachen 2008 auch drei isländische Großbanken zusammen, die Währung verlor drei Viertel ihres Werts. In dieser turbulenten Lage stellte die damalige rot-grüne Regierungskoalition im Juli 2009 den Antrag für den EU-Beitritt; überlegt wurde zudem die Ablösung der Krone durch den Euro. Mittlerweile sind viele Wirtschafts-Troubles Islands gelöst; dafür gerieten Euro und Europäische Union ihrerseits in Krisen – und es gab Regierungswechsel in Reykjav´ık. Unter diesen Umständen war auch eine EU nicht mehr attraktiv – und ist es bis heute nicht. (gb)