„Brexit richtete sich gegen globalen Trend“
Interview. Hermann Hauser wurde in Cambridge zu einem der weltweit erfolgreichsten Unternehmer. Der Brexit hat sein Weltbild nachhaltig erschüttert
Die Presse: Sie kamen 1964 das erste Mal nach Großbritannien. Hermann Hauser: Mein Vater hat mich auf einen Sommersprachkurs geschickt. Damals war ich 15 Jahre alt. Der Sommer 1964 in Cambridge war wunderbar, ich bin dann jedes Jahr wiedergekommen.
Wann haben Sie sich dann hier niedergelassen? Während ich in Wien Physik studierte, durfte ich im Sommer in Cambridge als Forschungsassistent Erfahrung sammeln. Danach bot man mir einen Dissertationsplatz an. Das habe ich gern angenommen.
Seither sind mehr als 50 Jahre vergangen. Wenn Sie das Cambridge von damals mit jenem von heute vergleichen, was hat sich geändert? Vieles und nichts zugleich. Was sich nicht geändert hat, und was ich so sehr schätze, sind die grundsätzlichen Gegebenheiten dieser Universitätsstadt, die so sehr an Spitzenklasse glaubt. Die ganze Kultur der Gesellschaft, die von Forschung, intellektuellem Leben und einem ständigen Austausch in Natur- und Geisteswissenschaften geprägt ist. Cambridge hat mehr Nobelpreisträger hervorgebracht als alle Staaten mit Ausnahme der USA und Deutschlands.
Wie ist in Ihrem Umfeld der Brexit aufgenommen worden? Es war ein großer Schock. Wir leben in einer elitären Clique. In Cambridge haben 75 Prozent für den EU-Verbleib gestimmt. In der umliegenden Grafschaft Cambridgeshire stimmten 70 Prozent für den Austritt.
Sie wurden ein erfolgreicher Unternehmer, zuletzt mit dem Mikroprozessorhersteller ARM. Als das Unternehmen im Juli um 24 Milliarden Pfund verkauft wurde, sprachen Sie dennoch vom traurigsten Tag Ihres Lebens. Ja, leider. ARM hat genug Geld auf der Bank, wir haben einen Marktanteil von 95 Prozent an Mikroprozessoren in Smartphones und im Vorjahr haben wir 15 Milliarden Stück davon verkauft. ARM ist extrem gut aufgestellt, in der nächsten Welle der Computerentwicklung, dem Internet of Things, ganz vorn dabei zu sein.
Die britische Regierung hat den Verkauf hingegen begrüßt. Ja, das hat ihnen sehr schön in die Linie gepasst, überall etwas Positives zu finden, denn der Brexit wird sehr negativ sein.
Warum? Weil er gegen den globalen Trend, die Globalisierung und Zusammenarbeit der Nationen gerichtet ist.
Sie sagten, die Globalisierung sei der Trend der modernen Zeit. Viele sagen, es kam zum Brexit eben wegen der Globalisierung und ihrer Schattenseiten. Das ist auch das große Argument für Donald Trump. Und ich halte es für durchaus möglich, dass er USPräsident wird. God forbid! Im Wesentlichen war die Entscheidung für den Brexit ein Unfall, ein historischer Zufall: Zuerst hat (Ex-Premier David) Cameron ein Referendum nur versprochen, weil er gewusst hat, dass er es nie einlösen braucht. Dann hat er unerwartet die Wahl gewonnen, sodass er es doch tun musste. Aber auch da hat jeder geglaubt, er wird das Referendum schon gewinnen. Aber dann (schlägt auf den Tisch) – also ich habe mich noch nie über einen Politiker so aufgeregt wie über diesen Boris Johnson. Er wollte ja ursprünglich nicht den Austritt, aber hat darin eine Gelegenheit gesehen, Premierminister zu werden. Das ist ein Opportunist und ein Clown. Aber er hat riesigen Charme. Wie der Rattenfänger von Hameln hat er alle hinter sich hergezogen und dabei den Leuten das Blaue vom Himmel heruntergelogen.
Warum haben ihm die Menschen geglaubt? Weil er so charmant ist.
Abgesehen von Johnson: Welche tieferen Gründe sehen Sie für den Brexit? Es war keine Entscheidung über Europa, sondern ein Protestvotum gegen die Regierung. Das Gefühl, der Mittel- und Unterschicht, dass sie seit 15 oder 20 Jahren keine Verbesserung ihres Lebensstandards mehr hatten. Und das Gefühl, mit einer Stimme für den Brexit den Herrschenden eins auszuwischen, ohne dass man erwartete, die Konsequenzen tragen zu müssen.
Welche Bedeutung hatte die Zuwanderungsfrage? (Schlägt erneut auf den Tisch) Das bringt mich auch auf die Palme: Großbritannien hat kein Einwanderungsproblem. Großbritannien ist kein Teil des Schengen-Raums. Großbritannien hat 2000 Menschen aus Syrien aufgenommen. 2000! Die politische Klasse Großbritanniens hat es nicht geschafft, eine objektive Diskussion über Zuwanderung zu führen, weil sie Angst hatte, damit den Zustrom zu den Rechtspopulisten um Nigel Farage zu stärken. Deshalb durfte nichts Positives gesagt werden über Zuwanderung. Dass Deutschland eines Tages Großbritannien zeigen würde, wo der moralische Kompass liegt, hätte ich mir nicht träumen lassen.
Ich meinte eigentlich Zuwanderer aus der EU. Es gibt kein Zuwanderungsproblem in Großbritannien. Farage hat künstlich eines herbeigeredet. Natürlich gibt es Gemeinden, die starke Zuwanderung erlebt haben. Aber die Probleme sind Einzelfälle. Und jetzt geht das gegen die Polen! Ausgerechnet! Die Polen sind Christen. Sie arbeiten hart. Sie integrieren sich. Es gibt kein Problem mit den Polen.
Wie soll es weitergehen? Das weiß niemand. Bisher hat Premierministerin May gesagt „Brexit means Brexit“, aber das reicht nicht mehr. Jetzt müssen wir sagen, was wir wollen. Und da gibt es diese „loony right“, die wollen tatsächlich aus dem Binnenmarkt austreten. Das ist ja verrückt!
Nun wird das Baby mit dem Badewasser ausgeschüttet? Ich habe die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Artikel 50 (des EU-Vertrags, Anm.) nicht abgerufen wird. Aber die Wahrscheinlichkeit, dass der Brexit kommt, liegt bei 90 Prozent und daher ist die Frage, wie er gestaltet wird. May hat gesagt, sie will „die engstmögliche Beziehung mit Europa“. Ich glaube, sie wartet auf einen Umschwung der öffentlichen Meinung.
Besteht die Gefahr, dass Großbritannien ohne festgelegte Position in die Verhandlungen geht? Absolut.
Wird Großbritannien im Binnenmarkt bleiben? Das ist die große Frage. Die Minister Fox und Davis haben das schon infrage gestellt. Das ist auch etwas, was ich nie erwartet hätte: Diesen britischen Glauben an die eigene Einzigartigkeit. Die Einstellung, dass wir eigentlich ja gar nicht mit den Europäern verhandeln sollten, das seien bestenfalls Menschen zweiter Klasse.
Hat sich Ihre Haltung zu Großbritannien durch das Brexit-Votum geändert? Ich bin irrsinnig traurig. Das Bild, das ich bisher von Großbritannien hatte, hat sich radikal geändert. Aber man darf auch nicht vergessen, dass 48 Prozent der Menschen so denken wie ich.
Stellt die Entscheidung Ihre Zukunft im Land infrage? Das tut sie, ja. Leider.
Ihr Vater schickte Sie einst nach Großbritannien, wo schickten Sie Ihre Kinder hin? Nach China. Dort ist die Zukunft.
Sie wissen, wie Großbritannien vor 50 Jahren ausgesehen hat. Wie wird es in 20 Jahren aussehen? Als Großbritannien 1973 Europa beigetreten ist, war es der „kranke Mann Europas“. Wenn es sich nun abwendet, könnte es wieder zum kranken Mann werden.
Sehen Sie sich selbst als Engländer, Brite, Österreicher oder Europäer? Alles zusammen, und dazu noch als Tiroler, denn dort bin ich aufgewachsen. Meine Frau ist Neuseeländerin, unsere Kinder sind in Cambridge aufgewachsen. Am Tag nach dem Referendum hat mich meine Tochter angerufen und gesagt: „Papa, ich schäme mich, Britin zu sein. Welche Telefonnummer hat die österreichische Botschaft?“Das hätte ich mir nie im Leben gedacht, dass sie die österreichische Staatsbürgerschaft braucht, um EU-Bürgerin zu bleiben. Jetzt bekommt sie einen österreichischen Pass.