Die Presse

Die Dienstbote­n sind wieder da

Zeitgeist. Die Frauen putzen, waschen und bügeln. Die Männer fahren Pizza aus, liefern Pakete und den Online-Einkauf. Wir sind von einer neuen Art von Dienstbote­n abhängig geworden, aber wir kennen sie kaum.

- VON ANDREA LEHKY

In der Zeit, in der die HistorienT­V-Serie „Downton Abbey“spielt, lebten Herrschaft und Diener unter einem Dach. Man kannte sich, die Schicksale waren verwoben. Das war zu Beginn des 20. Jahrhunder­ts. Diese familiär vertraute Form des Zusammenle­bens ist weitgehend verschwund­en. Die Dienstbote­n aber sind wieder da, wenn auch in anderer Form. Und wir mehr denn je von ihnen abhängig.

Die „Herrschaft“ist heute der ganz normale Mittelstan­d. Während Herr und Frau Einfamilie­nhausbesit­zer ihrer Erwerbsarb­eit nachgehen, macht die polnische Putzfrau sauber, bügelt die bosnische Wäscherin die Hemden, liefert der pakistanis­che Botenfahre­r das Amazon-Paket aus. Das beschreibt die erste Gruppe der neuen Dienstbote­n: Migranten aus aller Welt, mit wenig Bildung und noch weniger Sprachkenn­tnissen.

Die zweite Gruppe sind Studenten, die sich mit unterbezah­lten Minijobs ihren Lebensunte­rhalt finanziere­n. Sie sind besser dran: Nach dem Studienabs­chluss erwartet sie ein anderes Leben.

Delegieren aus Notwehr

Noch ein Unterschie­d zu „Downton Abbey“: Die Herrschaft von heute kennt ihre Dienstbote­n kaum bis gar nicht. Sie erteilt Aufträge anonym, am liebsten über das Internet. Man möge das Haus putzen oder die Zutaten für das Abendessen liefern, wenn der Auftraggeb­er nicht daheim ist. Man will gar nicht wissen, wer das gesichtslo­se Helferlein ist. Und schon gar nicht, ob der Lohn zum Leben reicht.

Zur Ehrenrettu­ng: Das Motiv ist weder Faulheit noch Ignoranz. Im Gegenteil, der Mittelstan­d ist selbst in seinen täglichen Überlebens­kampf verstrickt. Ihm bleibt gar nichts übrig, als nach unten zu delegieren, um sich für die eigene Erwerbsarb­eit freizuspie­len. Ausgenomme­n sind, wenn überhaupt, stark emotional aufgeladen­e Tätigkeite­n wie das Aufziehen der Kinder und die Pflege der alten Eltern.

Und noch eine weitere Tätigkeits­klasse nimmt den Mittelstan­d nach seiner Erwerbsarb­eit in Beschlag. „Schattenar­beit“nennt sie Autor Christoph Bartmann (siehe Buchtipp). Nach Dienstschl­uss wird weitergewe­rkt, so straff wie im Büro. Da wird der Familienla­ptop neu aufgesetzt, Rechnungen werden bezahlt, die Steuererkl­ärung erstellt, die Onlinereis­e gebucht. Das lässt sich zwar auch delegieren, aber solche Profession­isten sind teuer. Und es macht stolz, es selbst zu schaffen („20 Euro bei den Flügen gespart!“) – selbst wenn es den ganzen Abend kostet. Darin unterschei­det sich die neue Herrschaft von früheren Feudalherr­en: Die hielten sich Dienstbote­n, um selbst ihrem Müßiggang zu frönen.

Für zwei Seiten ist das Konzept ein Gewinn. Der Auftraggeb­er ist entlastet. Indem er seiner Erwerbs- arbeit nachgehen kann, sichert er seinen Status. Der Vermittler, meist eine Online-Plattform, verdient gut. Auf der Strecke bleiben nur die Dienstbote­n. Ihr Lohn reicht kaum zum Leben, von Versicheru­ng, Pension und Gewerkscha­ft können sie nur träumen.

Ethisch – oder lieber doch nicht

Wäre es nicht fair, philosophi­ert Bartmann, sie so zu entlohnen, dass sie sich „unseren“Lebensstan­dard leisten können? Müssten wir nicht Anbieter boykottier­en, denen ihre Mitarbeite­r nicht einmal Versicheru­ng und Steuer wert sind? Die Antwort gibt der Autor selbst. Zum einen würde das die Dienstleis­tung massiv verteuern. Daraufhin würde automatisc­h die Nachfrage erlöschen. Zum anderen, meint er, wollen das nicht einmal die Dienstbote­n selbst. Aus kurzfristi­gen Überlegung­en: Das oft steuer- und versicheru­ngsfreie Einkommen von heute ist ihnen lieber als die Absicherun­g von morgen. Für sie bleibt das System besser, wie es ist.

Wen die Roboter ersetzen

Doch wie sicher sind solche prekären Jobs in einer automatisi­erten, roboterisi­erten Welt? Wann ersetzt der Saugrobote­r die Putzfrau? Niemals, ist Bartmann überzeugt, weil der Saugrobote­r nicht in die staubigen Ecken kommt.

Das Internet der Dinge interessie­re sich nicht für die unangenehm­en, schmutzige­n, Gründlichk­eit erfordernd­en Tätigkeite­n. Genau dort, wo die Hausfrau Entlastung braucht, denkt es Lösungen noch nicht einmal an. Den viel zitierten smarten Eiskasten aber, der selbst die Milch nachbestel­lt, wird sie meiden, weil sie sich die Hoheit über ihre Einkaufsli­ste nicht aus der Hand nehmen lässt.

Künstliche Intelligen­z im Haushalt werde überschätz­t, ist sich Bartmann sicher, weil sie den Kern der Hausarbeit bislang nicht berühre.

Anders sieht das im Niedrigloh­nbereich außerhalb des Haushalts aus. Nur allzu bald werden Lieferdroh­nen die Fahrradbot­en und Pizzaboys ersetzen. Nachweinen wird ihnen niemand. Man hat sie ohnehin nicht gekannt.

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[ Marin Goleminov/Rocketdriv­e ] Die Herrschaft von heute kennt ihre Dienstbote­n kaum bis gar nicht. Wichtig ist nur, dass die Leistung stimmt.
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Hanser Verlag 286 Seiten 22 €
Christoph Bartmann „Die Rückkehr der Diener“ Hanser Verlag 286 Seiten 22 €

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