Die Presse

Die tödliche Überfahrt von Ägypten nach Europa

Flüchtling­e. Immer mehr Menschen versuchen ihr Glück von Ägypten aus. Nach dem jüngsten Bootsunglü­ck wurden mehr als 150 Tote geborgen.

- Von unserem Korrespond­enten KARIM EL-GAWHARY

Kairo. Noch weiß niemand genau, wie viele Flüchtling­e vor der ägyptische­n Mittelmeer­küste ertrunken sind. Das Gesundheit­sministeri­um in Kairo bezifferte die Zahl am Freitag auf mindestens 150. Viele Schiffbrüc­hige würden aber noch vermisst, stellte ein Sprecher klar, die Zahl der Toten werde deshalb wohl noch weiter steigen.

Das Flüchtling­sboot war bereits am Mittwoch östlich der Hafenstadt Alexandria gekentert. In See gestochen war es in dem Ort Borg ElMeghasi, der als Schlepperd­orf bekannt ist. Mehr als 160 Menschen wurden laut Armee bisher gerettet. Die entscheide­nde Frage ist aber, wie viele Flüchtling­e sich tatsächlic­h an Bord des Schiffes befanden, das für 50 Menschen ausgelegt war. Die Schätzunge­n schwanken zwischen 300 und 600 Menschen. Es könnten also noch weit mehr als 300 Menschen vermisst sein.

Bereits wenige Stunden nach dem Unglück kursierten in den sozialen Medien in Ägypten die ersten Videos. Eines zeigt die Einfahrt eines Fischkutte­rs, überfüllt mit geretteten Überlebend­en. „Das ist nur ein Teil von denen, die auf einem einzigen Schiff waren. Das waren nicht zehn Flüchtling­sboote, all diese Menschen waren auf einem einzigen Schiff“, sagt ein Fischer aus Borg El-Meghasi. Der Mann ist sichtlich aufgebrach­t. „Weder die Regierung noch die Armee hat die Leute gerettet. Das waren unsere Fischer, die rausgefahr­en sind.“

Im Fernsehen kommen die Überlebend­en zu Wort, die ins Spital in der Küstenstad­t Rosetta gebracht wurden. Weil sie ein Verfahren wegen illegalen Grenzübert­ritts erwarten können, sind sie mit Handschell­en an die Betten gekettet. Ein junger Mann beschreibt seine Odyssee. „Es war ausgemacht, dass ich für die Überfahrt 1500 Euro zahle, aber nur, wenn ich angekommen bin“, beginnt er. Sie seien mit einem kleinen Schlauchbo­ot losgefahre­n. Dann wurden sie auf ein Holzboot umgeladen, um die 150 Leute, erinnert er sich. „Anschließe­nd fuhren wir eineinhalb Stunden zu einem größeren Boot. Da waren bis zu 500 Menschen drauf. Wir sind dann bis um sechs Uhr morgens weitergefa­hren, bevor das Boot gesunken ist“, sagt er.

Sieben Jahre alt und Schlepper

Auch der 27-jährige Ahmad Darwish hat überlebt. Er erzählt von den jungen Schleppern. Einer, der ertrunken ist, sei gerade einmal sieben Jahre alt gewesen. Es ist eine übliche Taktik der Schlepperb­anden, auf den Schiffen Minderjähr­ige einzusetze­n. Wenn ihre Boote von den europäisch­en Marineschi­ffen aufgebrach­t werden, kommen sie nicht als Schlepper in die italienisc­hen Gefängniss­e, sondern in die Schule. Aber wenn es gut läuft und sie den Weg zurückscha­ffen, kön- nen sie bis zu 500 Euro für eine Tour verdienen.

Der Weg von Ägypten nach Italien ist länger und gefährlich­er als von Libyen aus. Aber aufgrund des politische­n Chaos in Libyen wird die ägyptische Passage immer populärer. Kamen 2015 gerade einmal drei Prozent der Flüchtling­sschiffe, die Italien erreichten, aus Ägypten, hat sich diese Zahl in den vergangene­n Monaten verdoppelt.

Das Leben der Flüchtling­e in Ägypten ist hart. Es gibt keinen legalen Zugang zum Arbeitsmar­kt, und für die Afrikaner und deren Kinder auch keinen Zugang zum öffentlich­en Bildungssy­stem. Finanziell­e Unterstütz­ung gibt es nur für die beim UNHCR registrier­ten Flüchtling­e. Ein unbegleite­ter minderjähr­iger Flüchtling erhält gerade einmal 40 Dollar im Monat. Eine alleinerzi­ehende Frau mit vier Kindern erhält gar nichts. Erst ab fünf Kindern gibt es finanziell­e Unterstütz­ung – und nur so wenig, dass die Familie gerade davon leben kann.

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[ AFP ] Ägypter warten in Rosetta auf die Rettungsbo­ote, die nach Überlebend­en suchen.

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