Die Presse

Neutral? Nicht der Prosciutto!

„Expedition Europa“: Montenegro­s „Lov´cen-Erklärung“– und was es damit auf sich hat.

- Von Martin Leidenfros­t

Am 6. Mai dieses Jahres, schrieb die „Bewegung für die Neutralitä­t Montenegro­s“, wurde angeblich eine „Allianz neutraler Staaten“ausgerufen. Nach zwölf Jahren in der Slowakei, die auch ohne Volksabsti­mmung in die Nato geriet, bin ich heute ein eifernder Neutralitä­tsverfecht­er, so richtig heiß machte mich aber der Ort: Jene „Lovcen-´Erklärung“soll im Geburtshau­s des 1696 bis 1918 regierende­n Geschlecht­s Petrovic-´Njegosˇ unterzeich­net worden sein, der historisch vielleicht einmaligen Herrscherd­ynastie zölibatär lebender Bischöfe. (Der jeweilige Bruder musste Söhne zeugen.)

Gleich mehrere Details machten mich stutzig: 1. Der Nato-Beitritt Montenegro­s ist bereits durch. 2. Die „Bewegung für die Neutralitä­t“erklärte mir, bei der Aktion im Bergdorf Njegusiˇ gar nicht dabei gewesen zu sein. 3. Der einzige namentlich bekannte Unterzeich­ner, Milan Knezeviˇc,´ Chef der proserbisc­hen Splittergr­uppe „Demokratis­che Nationalpa­rtei“, ignorierte meine neutralitä­tsduselige­n Anfragen. 4. Metropolit Amfilohije, der ranghöchst­e Bischof Montenegro­s, soll die Erklärung persönlich gesegnet haben. 5. Ob die weiteren Allianzmit­glieder Serbien, Bosnien und Mazedonien überhaupt Vertreter entsandten, ist unbekannt; dafür unterschri­eb die Moskauer Staatspart­ei „Einiges Russland“.

Ansonsten war die Expedition wieder einmal ein Kinderspie­l: Ich musste mich nur 910 Höhenmeter über die k. u. k. Serpentine­nstraße raufhangel­n, von der Kotorer Bucht ins almkühle Njegusi,ˇ musste nur die zweitbeste Person ansprechen, einen sehnigen Alten mit Profil von edler Schärfe, und schon bat mich der Nachkomme der Herrscherd­ynastie in die Stube. Ðorðe Petrovic´ bestätigte: „Ja, sie saßen am 6. Mai hier bei mir, Amfilohije, Knezeviˇc´ und ein russischer Politiker, der Name ist mir entfallen.“

Braune Kuh, weißer Golf

Petrovic´ war für Neutralitä­t: „80 Prozent sind gegen die Nato, die hat uns 1999 bombardier­t.“An der Wand hing das „Abendmahl“von Leonardo da Vinci: „Das hat damals meine Frau gestickt, als sie in mich verliebt war.“

Ich folgte der weiterhin verliebten Oma, um ihren Prosciutto zu kaufen. Auf der Terrasse Töpfe mit roten Rosensträu­chlein. Eine weite ebene Weide mit gelbgrünem Gras, darauf in riesigen Abständen eine beige und eine braune Kuh und ein weißer Einser-Golf. Sie warf meinen Prosciutto in den Vakuumvers­chweißer, lächelte zart: „Zwei Jahre und zwei Monate habe ich an dem Abendmahl gestickt, sechs bis sieben Stunden täglich.“

Das einfache Steinhaus daneben war ein Museum. Drin wurde Petar II. Petrovic´ Njegosˇ geboren, Autor des 1847 in Wien herausgege­benen „Bergkranze­s“mit 2819 Versen über den antiosmani­schen Abwehrkamp­f samt Massenexek­ution zum Islam übergetret­ener Montenegri­ner. Der alte Museumswär­ter hatte schon „acht Stunden ohne Pause geredet“, sperrte aber für mich noch auf. Rako Popovic´ hatte die Führung mindestens 180.000-mal gemacht: „Man kann mich auch bei Nacht rufen.“Eine von Steinquade­rn gefasste Feuerstell­e. Ikone, Pfeife und Gewehr des Dichterfür­stbischofs.

Ich fragte Popovic´ so lange nach dem Gründungsa­kt der „Allianz neutraler Staaten“, bis er ärgerlich wurde: „Der 6. Mai ist der Feiertag des Familienhe­iligen Georg, da kam der Metropolit wie jedes Jahr und segnete den Festkuchen. Dies ist ein Museum, mein Herr! Ich arbeite hier ununterbro­chen seit 1972, in diesem Haus wurde noch nie etwas Politische­s unterzeich­net!“Ich fuhr langsam aus Njegusiˇ hinaus. Ein Luftkurort, 17 Einwohner, Garagenver­kauf von Prosciutto. Auf dem Hauptplatz ein Njegos-ˇZitat: „Sterbt ruhmreich, wenn ihr sterben müsst.“Zu Hause schnitt ich den Prosciutto an. Schmeckt nicht neutral.

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