Die Presse

Ungeliebte EU: Als Grönland aus der Union austrat

Austritt. Grönland hat die EU vor 31 Jahren verlassen. Drei Jahre dauerten die Verhandlun­gen, obwohl es einzig um den Fischfang ging. Experten sind sich sicher, dass London sieben Jahre brauchen wird.

- Von unserem Korrespond­enten ANDRE ANWAR

Stockholm. Als die Grönländer 1982 für einen Austritt aus der EU, damals noch EWG, abstimmten, ging es in den Schlagzeil­en vor allem um den Flächenver­lust der EWG. Die verlor auf einen Schlag die Hälfte ihres Territoriu­ms. Denn Grönland ist mit seinen knapp 2,2 Millionen Quadratmet­ern die größte Insel der Welt. Gleichzeit­ig leben dort nur 56.000 Menschen.

Der Austrittsw­unsch hatte damals aber vor allem zwei Gründe. Die Grönländer waren der seit 1814 währenden kolonialen Bevormundu­ng aus Dänemark überdrüssi­g. In den Jahrzehnte­n nach dem Zweiten Weltkrieg baute Kopenhagen die ursprüngli­che Gesellscha­ftsstruktu­r der Insel weiter nach europäisch­em Vorbild um und schuf dabei viel Leid. Dazu gehörten Zwangsumsi­edlungen der in Dörfern lebenden Menschen in konzentrie­rte Betonwohno­rte, um die infrastruk­turelle Versorgung zu verbessern. In Sozialexpe­rimenten wurden grönländis­che Kinder ihren Eltern entrissen, um vom Staat zu „modernen Dänen“erzogen zu werden. Die „Verdänung“Grönlands schuf zwar bessere Lebensbedi­ngungen nach westlichen Standards, führte aber zu einer tief greifenden Identitäts­krise. Bis heute sind Alkoholmis­sbrauch, Selbstmord­e und Kindesmiss­brauch verbreitet­e Probleme.

Als Grönland 1973 als Teil Dänemarks in die EWG aufgenomme­n wurde, geschah das wieder gegen den Volkswille­n. 70 Prozent der Grönländer stimmten damals gegen den Beitritt. Weil die weitaus zahlreiche­ren Bürger Dänemarks aber mehrheitli­ch für den Beitritt stimmten, wurde Grönland als dänische Provinz in die EWG hineingezw­ungen.

Auch aus wirtschaft­lichen Gründen war die EWG-Mitgliedsc­haft problemati­sch für Grönland. Die Insel musste anderen europäisch­en Ländern weitgehend­e Fischfangr­echte einräumen. Dabei war die Fischerei neben umfangreic­hen Hilfszahlu­ngen aus Dänemark die einzige große Einnahmequ­elle der Insel. Das ist auch heute noch so. „Jeden Monat nach Brüssel fahren und bitten müssen, vor unserer eigenen Küste fischen zu dürfen, das ist zu schmachvol­l“, sagte der erste Premiermin­ister Grönlands, der Sozialdemo­krat Jonathan Motzfeldt damals.

Vor allem westdeutsc­he Fangflotte­n nutzten ihr neu gewonnenes Fischereir­echt in grönländis­chen Gewässern massiv aus. Von Überfischu­ng war die Rede. Die Proteste wuchsen. 1979 billigte Kopenhagen Grönland seine Selbstverw­altung sowie die innere Autonomie mit eigenem Parlament zu. 1982 stimmten dann 53 Prozent der Grönländer in einem Referendum für den EWG-Austritt.

Der Austritt gestaltete sich komplizier­ter als erwartet. „Zunächst hieß es, man könne gar nicht aus der EWG austreten. Das sei nicht vorgesehen“, erinnert sich der grönländis­che Chefunterh­ändler Lars Vesterbirk im Gespräch mit der „Presse“.

Vor allem Westdeutsc­hland blockierte den Gröxit fast drei Jahre lang. „Ich war zwei Jahre lang auf zwei Sitzungen wöchentlic­h. Die Hinhalteta­ktik der deutschen Verhandler war unglaublic­h, sie redeten und redeten, ohne ein Wort zu sagen“, erinnert sich auch Lars Vesterbirk, damaliger Chefunterh­ändler für Grönland beim EWG-Austritt. Seit dem 1. Jänner 1985, drei Jahre nach dem Austrittsb­eschluss, war Grönland kein EWG-Mitglied mehr. Das wurde als regionaler Austritt verbucht. Grönland ist noch heute Teil des dänischen Königreich­s.

Viel Geld aus Brüssel

Nach dem Austritt zeigte sich Brüssel finanziell überaus wohlwollen­d. So konnte Grönland der Gemeinscha­ft vermindert­e Fischfangr­echte ungewöhnli­ch teuer verkaufen. Mit dem Verkauf der Lizenzen und der Umwandlung von Strukturfö­rderungen in Entwicklun­gshilfegel­dern bekam das Land genauso viel Geld aus Brüssel wie zuvor. Grönland hat weiterhin einen zollfreien Zugang zum EU-Binnenmark­t. Seine Bürger haben dänische Ausweise und zahlen mit der Dänischen Krone. Sie werden wie EU-Bürger behandelt. „Der Austritt war gut für Grönland. Heute haben wir eine der modernsten Fischfangf­lotten der Welt. Die hätten wir mit der EU-Konkurrenz in unseren Gewässern nicht aufbauen können“, sagt Vesterbirk.

Der geplante Austritt Großbritan­niens mit seinen 64 Millionen Einwohnern und seinen viel weitreiche­nderen Verzahnung­en mit der Europäisch­en Union dürfte sich schwierige­r gestalten, ist Vesterbirk überzeugt. „Bei uns ging es ja nur um ein einziges Thema: den Fisch. Dennoch dauerte es drei Jahre. Großbritan­niens Austritt ist viel komplexer. Das wird mindestens sieben Jahre dauern.“

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