Die Presse

MH17-Drama: Russland am Pranger

Ukraine. Internatio­nale Ermittler weisen nach: Der Flug MH17 wurde von ostukraini­schem Rebellenge­biet aus mit einer russischen Rakete abgeschoss­en. Der Kreml weist alle Vorwürfe zurück.

- VON HELMUTH HETZEL UND JUTTA SOMMERBAUE­R

Den Haag/Wien. Über zwei Jahre lang fügten niederländ­ische Ermittler Wrackteile der Boeing 777 zusammen, die am 17. Juli 2014 über der Ostukraine vom Himmel gefallen war. Zwei Jahre lang werteten sie Funksprüch­e, Radar- und Satelliten­bilder aus, sprachen mit Zeugen, suchten Bruchstück­e der Rakete, die den Flug MH17 jäh gestoppt und 298 Menschen in den Tod gerissen hatte. Ihre Arbeit schritt langsam voran, denn dieser Absturz hatte hochbrisan­te politische Folgen, er markierte eine dramatisch­e Wende in der Ukraine-Krise. Am Mittwoch stellte das Untersuchu­ngsteam seinen Bericht vor.

Die Schlüsse des von den Niederland­en angeführte­n internatio­nalen Fahndungst­eams sind sehr unangenehm für den Kreml. Denn alle Spuren führen nach Russland. Nun ist aktenkundi­g, dass die Rakete, die das Flugzeug zerfetzte, aus russischen Militärbes­tänden kam. Es handelte sich um ein Geschoss des Typs Buk aus der 9m-38-Serie. Die Rakete und ihre mobile Abschussra­mpe wurden den Ermittlern zufolge aus Russland in das Gebiet der prorussisc­hen Rebellen in der Ostukraine gebracht. Von dort aus, genauer: aus dem Dorf Perwomajsk, sei sie abgefeuert worden. Noch am selben Tag sei die Abschussvo­rrichtung nach Russland zurückgebr­acht worden.

Der Vorwurf ist nicht neu: Rechercheu­re der Internetpl­attform Bellingcat haben unter Verwendung von Fotografie­n, die in sozialen Medien veröffentl­icht worden sind, bereits im November 2014 das Dorf Perwomajsk als Abschussor­t identifizi­ert. Bellingcat hat, wie nun auch die niederländ­ischen Ermittler, die 53. Luftabwehr­brigade in Kursk als Heimstätte der Buk-Rakete angegeben und ihren Transport nach Russland zurückverf­olgt.

Schrecklic­he Bilder vom Absturzort

Flug MH17 der Malaysia Airlines startete am 17. Juli 2014 in Amsterdam in Richtung Kuala Lumpur. In der Ostukraine führten die ukrainisch­e Armee und prorussisc­he Separatist­en damals schon Gefechte mit schweren Waffen. Die Bilder vom Absturzgel­ände mit den versprengt­en Wrackteile­n und Leichen, einige davon schrecklic­h entstellt, zogen die internatio­nale Aufmerksam­keit auf den Konflikt im Donbass.

Dass das Buk-Raketensys­tem nach dem Abschuss des Flugs MH17 wieder zurück nach Russland transporti­ert wurde, geht aus einem Gesprächsp­rotokoll zwischen zwei russischsp­rachigen Männern hervor, das dem Joint Investigat­ion Team (JIT) vorliegt. Einer der Männer fragt: „Wo muss ich die Schönheit verstecken?“Der andere antwortet: „Du brauchst sie nicht zu verstecken.“Unmittelba­r nach dem Abschuss hatten sich Separatist­en gerühmt, ein (angeblich) ukrainisch­es Armeeflugz­eug abgeschoss­en zu haben – der Treffer der Passagierm­aschine dürfte also ein tragischer Fehler gewesen sein. Die Meldungen verschwand­en schnell wieder aus dem Netz.

Die Untersuchu­ng wird von den Niederland­en geleitet, weil von dort auch die meisten Opfer des Todesfluge­s stammten.

Moskau, das die prorussisc­hen Separatist­en ideell und logistisch unterstütz­t, will mit dem Vorfall nichts zu tun haben. Am Montag hat das russische Verteidigu­ngsministe­rium vorsorglic­h eine Gegenpräse­ntation zu der niederländ­ischen Untersuchu­ng inszeniert. Dort erklärte man, dass aus dem betreffend­en Gebiet laut Radardaten kein Raketensta­rt erfolgt sei. Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow sprach gestern von „einer großen Menge an Spekulatio­nen, unqualifiz­ierten, unprofessi­onellen Informatio­nen“. Moskau insinuiert, dass die Ukraine für den Abschuss verantwort­lich sei.

Wer drückte den Knopf ?

Unklar ist trotz der Identifika­tion der Waffe weiterhin, wer auf den Knopf gedrückt und die tödliche Rakete auf die Boeing 777 der Malaysia Airlines abgefeuert hat. Waren es russische Soldaten? Waren es prorussisc­he Rebellen? Auf wessen Befehl handelten sie? Nach Angaben des JIT gibt es rund 100 Personen, die für den Abschuss von Flug MH17 verantwort­lich sind. Formal werden keine Tatverdäch­tigen benannt, keine Ermittlung­en eingeleite­t. Denn es gibt keine Einigung, vor welchem Gericht ein Prozess überhaupt stattfinde­n könnte.

Ein wenig hat sich der Nebel aber gelichtet. Der niederländ­ische Bericht macht Moskau zwar nicht direkt verantwort­lich – der Verweis auf die Verwendung einer Rakete aus dem Arsenal des Militärs legt freilich die Beteiligun­g oder zumindest Verantwort­ung staatliche­r Strukturen nahe. Nicht zufrieden dürften die Angehörige­n der Opfer mit dem gestrigen Bericht sein, da die direkten Verantwort­lichen abermals im Dunkeln bleiben.

 ?? [ Reuters ] ?? Absturz im freien Feld: Ein prorussisc­her Bewaffnete­r inspiziert ein Wrackteil der Boeing in der Ostukraine im Sommer 2014.
[ Reuters ] Absturz im freien Feld: Ein prorussisc­her Bewaffnete­r inspiziert ein Wrackteil der Boeing in der Ostukraine im Sommer 2014.

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