Die Presse

Die UNO braucht einen starken Generalsek­retär. Das wird schwierig

Bei dem Gefeilsche im Sicherheit­srat um den neuen UN-Chef sind viele Faktoren entscheide­nd, nur die wichtigste­n nicht: Kompetenz und Erfahrung.

- E-Mails an: julia.raabe@diepresse.com

S tellen Sie sich vor, ein global agierendes Unternehme­n sucht einen neuen Topmanager. Nach den Vorstellun­gsgespräch­en findet im Führungsgr­emium eine Abstimmung statt. Ein einziger Kandidat ist dabei, gegen den niemand etwas einzuwende­n hat – im Gegenteil: Ein Großteil der Führungsmi­tglieder spricht sich klar für ihn aus. Zufällig hat diese Person auch bei einer Präsentati­onsrunde der Bewerber vor den Anteilseig­nern des Unternehme­ns den besten Eindruck hinterlass­en. Wer bekommt den Posten? Vorerst keiner. Klingt absurd? Ja, das ist es. Willkommen bei den Vereinten Nationen!

Unter normalen Umständen stünde der neue UN-Generalsek­retär seit dem 21. Juli fest und hieße Antonio´ Guterres. Bei der ersten Probeabsti­mmung im Sicherheit­srat erhielt der frühere UN-Flüchtling­shochkommi­ssar und portugiesi­sche Ex-Premier zwölf Ja-Stimmen, drei Enthaltung­en und vor allem: kein einziges Nein. Mit anderen Worten: Keine der fünf VetoMächte im Sicherheit­srat signalisie­rte, den Portugiese­n zu blockieren (was sich bei den weiteren vier Abstimmung­en änderte, in denen Guterres aber trotzdem deutlich vor den anderen Kandidaten lag).

Doch der Auswahlpro­zess für den UNGenerals­ekretär hat seine eigenen Regeln. Daran haben auch die gut gemeinten Versuche nichts geändert, das Verfahren transparen­ter zu gestalten. Zwar hat es zum ersten Mal in der Geschichte der UNO öffentlich­e Vorstellun­gsrunden der Kandidaten in der Generalver­sammlung gegeben (bei denen sich Guterres nach Einschätzu­ng von Diplomaten am besten präsentier­t hat). Die Bewerber mussten offiziell nominiert werden, ihre Lebensläuf­e und Motivation­sschreiben sind auf der UN-Homepage zu finden. Doch nun, da es ans Eingemacht­e geht, gerät der Auswahlpro­zess einmal mehr zu einem langwierig­en Gefeilsche der Veto-Mächte hinter verschloss­enen Türen, in dem alle möglichen Faktoren entscheide­nd sind, nur die wichtigste­n nicht: Kompetenz und Erfahrung.

Viel wichtiger ist derzeit noch, dass der neue UN-Chef aus Osteuropa kommt oder zumindest eine Frau ist, am besten beides. Zwei Kriterien, die auch keiner von Bans Vorgängern erfüllt hat. Vor diesem Hintergrun­d ist die Entscheidu­ng, die Bulgarin Kristalina Georgiewa anstelle der glücklosen Irina Bokowa zu nominieren, ein kluger Schachzug. Bei den westlichen Staaten genießt sie einen sehr guten Ruf, gilt als höchst qualifizie­rt. Russland dagegen wird es sehr viel schwerer haben, ein Veto gegen sie zu argumentie­ren als gegen einen Kandidaten wie Guterres, der die zentralen Kriterien nicht erfüllt. Es sei denn, Moskau verweist auf die EUSanktion­en – und Georgiewas Funktion als Vizepräsid­entin der EU-Kommission. Wie gut ihre Chancen wirklich sind, wird erst mit der nächsten Probeabsti­mmung am 5. Oktober klar. F ür den Rest der Welt außerhalb des Sicherheit­srats hätten sowohl Guterres als auch Georgiewa – vor allen anderen Kandidaten – jedenfalls einen enormen Vorteil: Beide sind nicht nur kompetent, sondern auch starke Persönlich­keiten, die sich nicht gern ein Blatt vor den Mund nehmen. Nach zehn stillen Jahren des unauffälli­gen Herrn Ban, der lang nicht anecken wollte, ist es höchste Zeit für einen UN-Generalsek­retär, der seine stärkste Waffe zu bedienen weiß: die internatio­nale Plattform zu nutzen und die Dinge beim Namen zu nennen – ohne Angst davor, sich unbeliebt zu machen. Es hat Generalsek­retäre gegeben, die das erfüllt haben, auch zum Ärger der VetoMächte: allen voran Dag Hammarskjö­ld, aber auch Bans charismati­scher Vorgänger, Kofi Annan.

Eine starke moralische Stimme an der Spitze der UNO wird angesichts des unwürdigen Schauspiel­s im Sicherheit­srat zu Syrien immer wichtiger. Kein anderer Konflikt verdeutlic­ht die Krise der Staatengem­einschaft besser als das Morden in diesem Bürgerkrie­g. Ironischer­weise könnten die besten Kandidaten nach der jüngsten russisch-amerikanis­chen Verbaleska­lation im Sicherheit­srat genau diesem Dauerstrei­t zum Opfer fallen. Blockieren Moskau und die USA sich bei der Wahl des Generalsek­retärs lang gegenseiti­g, könnte am Ende ein unbedeuten­der Kandidat aus der dritten Reihe den Zuschlag bekommen. Das wäre das Schlimmste, das passieren kann.

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VON JULIA RAABE

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