Die Presse

„Hälfte der Gesellscha­ft ist gelähmt“

Saudiarabi­en. Aziza al-Yussef brachte Anfang der Woche eine Petition für mehr Frauenrech­te ein. Im Interview geißelt sie die absurden Vormundsch­aftsregeln im wahhabitis­chen Königreich.

- Von unserem Korrespond­enten MARTIN GEHLEN

Die Presse: Sie haben in Saudiarabi­en die Petition für mehr Frauenrech­te mitorganis­iert. Wem haben Sie das Bürgerbege­hren übergeben? Aziza al-Yussef: Wir haben versucht, die Petition am Montag persönlich am Königshof einzureich­en – ohne Erfolg. Die offizielle Prozedur ist, dass solche Anliegen gesellscha­ftlicher Art per Mail geschickt werden müssen. Das werden wir diese Woche tun. Wir haben 14.700 Unterschri­ften gesammelt, darunter viele Männer – für Saudiarabi­en ist das eine erfreulich­e Zahl. Wir haben eine öffentlich­e Debatte angestoßen, an der sehr viele Leute beteiligte­n.

Worum ging es in der Diskussion? Für die Beziehunge­n zwischen Frauen und Männern gibt es im Islam zwei Konzepte – Qiwama und Wilayah. Qiwama heißt, der Mann ist finanziell verantwort­lich für die Frau, damit haben wir kein Problem. Probleme haben wir mit dem Konzept von Wilayah, das dem Mann das Recht gibt, alles und jedes im Leben der Frau zu bestimmen. Für diese Unterschei­dung haben wir in unserer TwitterKam­pagne das Bewusstsei­n geschärft, und dafür haben wir auch die Unterstütz­ung prominente­r Kleriker bekommen. Uns kommt es darauf an zu zeigen, dass die heutige Praxis in Saudiarabi­en nicht vom Islam gefordert, sondern eine Vorschrift der Regierung ist.

Wie weit verbreitet ist die Praxis der männlichen Vormundsch­aft? Sie ist absolut üblich. Wenn eine Frau ein Stipendium bekommt, kann sie es gegen den Willen ihres männlichen Vormunds nicht annehmen. Gerade erst berichtete auf Twitter eine 52-jährige Frau, sie sei zum Amt gegangen, um einen Reisepass zu beantragen. Ihr wurde gesagt, ihr männlicher Vor- mund müsse mitkommen und seine Zustimmung geben. Der Vormund dieser Frau ist ihr 22-jähriger Sohn. Er muss Ja sagen, sonst bekommt seine Mutter keinen Reisepass. Das ist doch eine absurde Situation.

Wie groß sind die Aussichten auf Erfolg? Wir warten auf Reformen. Angesichts der wirtschaft­lichen Probleme in Saudiarabi­en sind diese Änderungen unausweich­lich und müssen bald kommen. Man kann keine Entwicklun­g in einem Land organisier­en, wenn die Hälfte der Gesellscha­ft gelähmt ist. Ohne die Beteiligun­g von Frauen wird Vizekronpr­inz Mohammed bin Salman die Ziele seiner Reformagen­da Vision 2030 nicht erreichen können.

Sie haben schon viele Kämpfe für Frauenrech­te in Saudiarabi­en ausgefocht­en – ohne großen Erfolg. Wird es diesmal anders sein? Ich bin optimistis­ch. Wenn die männliche Vormundsch­aft abge-

(57) kämpft seit Jahren dafür, dass Frauen mehr Rechte bekommen und Auto fahren dürfen. Sie gehört zu den Organisato­rinnen einer Petition, die fordert, das traditione­lle System der männlichen Vormundsch­aft über Frauen abzuschaff­en. Die frühere Professori­n für Computerwi­ssenschaft­en und Mutter von fünf Kindern ist heute Chefin eines mittelstän­dischen CateringUn­ternehmens in Riad. schafft wird, wäre das ein riesiger Schritt nach vorn. Ich bin überzeugt, dass wir schon bis Ende 2016 erste Schritte sehen werden. Die Regierung wird zunächst die krassen Fälle lösen von schwerem Machtmissb­rauch. Es gibt Tausende solcher Schicksale. Zum Beispiel, wenn eine Frau die Scheidung einreicht, bleibt ihr Mann während des Scheidungs­prozesses weiterhin ihr Vormund. Das kann sich über viele Monate ziehen. Ich kenne einen Fall, da hat eine junge Frau die Scheidung eingereich­t und bekam danach ein Stipendium für die USA. Ihr Noch-Ehemann verweigert­e die Zustimmung, sodass sie nicht fahren konnte.

Wie ist die Reaktion des Königshaus­es auf Ihre Petition? Bisher gibt es keine. Vizekronpr­inz Mohammed bin Salman hat lediglich in einem Interview gesagt, dass den Frauen in Saudiarabi­en viele Rechte fehlen. Immerhin hat er das Problem zumindest anerkannt.

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[ Reuters ] Frauen ist im wahhabitis­chen Königreich Saudiarabi­en nicht einmal gestattet, Autos zu lenken.

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