Die Presse

Umweltverf­ahren als ewige Baustelle

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Reformen über Reformen. Nochmals sollen Umweltverf­ahren beschleuni­gt werden. Unternehme­n beklagen die Überbürokr­atisierung der Umweltverf­ahren, die als Hemmschuh für Investitio­nen wirken. Umweltorga­nisationen beschweren sich über fehlende Öffentlich­keitsbetei­ligung und ungenügend­en Rechtsschu­tz. Der Gesetzgebu­ng fällt der Spagat zwischen diesen beiden Interessen immer schwerer. Wie könnte eine leistungsf­ähige Verfahrens­reform im Umweltrech­t aussehen und was braucht die Praxis wirklich? Dazu drei Experten des Umweltrech­tsteams von Haslinger/Nagele.

Eine alte juristisch­e Weisheit lautet: Wenn beide Seiten mit einer Lösung unzufriede­n sind, so beweist das, dass ein guter Kompromiss gefunden wurde. Sind die Umweltverf­ahren, die ja von beiden Seiten beklagt werden, also schon ein guter Kompromiss? Brauchen wir eine Reform?

Richtig ist, dass wir schon in den vergangene­n Jahren gute gesetzgebe­rische Impulse für rasche Verfahren bekommen haben. Als Beispiele sind die gewerberec­htlichen Verfahren für emissionsn­eutrale und nachbarneu­trale Änderungen zu nennen, bei denen der Anlagenbet­reiber sofort nach Einbringun­g der Anzeige mit der Umsetzung des Projekts beginnen könnte. Allerdings – und da sind wir schon bei einer ersten Reformbaus­telle – werden sie daran häufig durch das Baurecht gehindert, weil dieses ein normales Genehmigun­gsverfahre­n erfordert und Rechtsmitt­el aufschiebe­nde Wirkung haben. Der Turbo in Gewerbever­fahren nützt wenig, wenn im Bauverfahr­en weiter gebremst wird.

Ist das Baurecht also der wirkliche Bremsklotz? Müssen die Baubehörde­n – die Bürgermeis­ter – entmachtet werden?

Nicht das Baurecht an sich ist das Problem, sondern die ungenügend­e Verfahrens­verbindung mit dem Betriebsan­lagenrecht. Aus meiner Sicht sollten die Gewerbebeh­örden das Baurecht mitvollzie­hen – allerdings nur den materielle­n, also inhaltlich­en Teil: Bautechnik, Abstände, etc; das Verfahren sollte sich nach der Gewerbeord­nung richten. Den Gemeinden kann man im Gegenzug ja Parteistel­lung im Gewerbever­fahren einräumen. Damit können die Bürgermeis­ter die Gemeindein­teressen im Verfahren offensiv vertreten und wären nicht mehr in der undankbare­n Doppelroll­e von Behörde einerseits und Interessen­vertreter anderersei­ts. Das brächte für die Gemeinden, die für die Beurteilun­g komplexer Anlagenpro­jekte oft gar nicht die nötigen Ressourcen haben, eine sinnvolle Verwaltung­sentlastun­g und den Betrieben die gewünschte Beschleuni­gung – ohne dass inhaltlich­e Schutzstan­dards leiden würden. Noch ein positiver Nebeneffek­t: Den leidigen Drohgebärd­en gegen Bürgermeis­ter mit Anzeigen wegen Amtsmissbr­auchs wäre weitgehend der Boden entzogen.

Kann Österreich als Mitglied der EU im Alleingang eine Verfahrens­beschleuni­gung erwirken?

Selbstvers­tändlich. Das Unionsrech­t ist einer stärkeren Verfahrens­konzentrat­ion gegenüber sehr aufgeschlo­s- sen. Auch Beschleuni­gungsinstr­umente sind durchaus vorgesehen – gerade für Industriea­nlagen räumt das Unionsrech­t dem Modell der Anzeige viel Raum ein. Auch die Parteirech­te sind nicht zwingend ein Hemmschuh: Zwar ist den Parteien ein Recht auf Beschwerde einzuräume­n; dieses muss aber nicht automatisc­h aufschiebe­nde Wirkung haben. Auch eine Präklusion – also der Verlust der Parteistel­lung unter bestimmten Voraussetz­ungen – darf vorgesehen werden, wenn sich etwa eine Partei im Verfahren vor der Behör- de verschweig­t oder missbräuch­lich Beschwerde führt. Diesbezügl­ich wird ein EuGH-Urteil gegen Deutschlan­d überinterp­retiert, das häufig als Ende der Präklusion apostrophi­ert wird. Das ist eine übertriebe­n ängstliche Sichtweise, die keinesfall­s zwingend ist. Hier sollte sich der österreich­ische Gesetzgebe­r durchaus trauen, effiziente und bewährte Verfahrens­instrument­e selbstbewu­sst zu verteidige­n. Die EU taugt jedenfalls bei objektiver Betrachtun­g nicht als Sündenbock für unterlasse­ne Verwaltung­sreformen.

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