Die Presse

Draghi verteidigt die Ehre der EZB

Langfristi­g würden auch deutsche Sparer von einer Erholung in der Eurozone profitiere­n, sagt EZB-Chef Mario Draghi in Berlin – in einer Rede vor seinen schärfsten Kritikern.

- VON NIKOLAUS JILCH

Berlin/Wien. Es war eine Übung in Realpoliti­k, die EZB-Chef Mario Draghi am Mittwoch vor dem Deutschen Bundestag absolviert­e. Eigentlich ist der oberste Notenbanke­r Europas nur dem EU-Parlament Rechenscha­ft schuldig, nicht etwa dem deutschen Bundestag.

Eigentlich. Denn die Realität sieht anders aus: Deutschlan­d ist die mit Abstand stärkste und wichtigste Volkswirts­chaft in der EU. Das Gebäude der EZB steht nicht zufällig in Frankfurt – die Notenbank wurde nach dem Vorbild der legendären Deutschen Bundesbank gegründet.

Und nicht ohne Grund erwähnte Draghi in seiner Rede diese Bundesbank gleich mehrmals, denn aus Deutschlan­d kommt die lauteste Kritik an der lockeren Geldpoliti­k der EZB. Diese schade den Sparern und helfe den Ländern des europäisch­en Südens auf deutsche Kosten, heißt es. Nun, eines kann man dem Italiener nicht vorwerfen: Er ist der Kritik nicht aus dem Weg gegangen, sondern hat direkt geantworte­t.

„Als ich vor vier Jahren vor dem Bundestag gesprochen habe, waren wir auf dem Höhepunkt der Krise“, sagte Draghi. „Heute ist die Eurozone in besserer Verfassung.“Die als allzu locker kritisiert­e Geld- politik der EZB habe geholfen, eine neue Depression zu verhindern. Und die nun folgende Erholung sollte auch den Sparern und Pensionist­en in Deutschlan­d nutzen. Dennoch: „Ich verstehe, dass die Menschen Sorgen haben. Wir nehmen diese Sorgen erst.“

Maßnahmen wirken

„Wie jede geldpoliti­sche Entscheidu­ng haben auch unsere Maßnahmen Verteilung­seffekte. Aber unter dem Strich profitiere­n Sparer, Arbeiter, Unternehme­r, Pensionist­en und Steuerzahl­er in Deutschlan­d und der ganzen Eurozone – heute und morgen“, so Draghi. Er erin- nerte daran, dass die EU-Verträge der EZB den Auftrag geben, die Preisstabi­lität zu wahren. Dieser Auftrag sei die Basis für Entscheidu­ngen im EZB-Rat. Das Ziel sei eine Inflations­rate von knapp unter zwei Prozent. „Manchmal fragen sich die Leute, ob Preisstabi­lität nicht eine Inflations­rate von null Prozent erfordere. Nein, denn sowohl allzu hohe Inflation als auch allzu niedrige Inflation kann der Wirtschaft schaden“, so Draghi.

Derzeit müsse eben verhindert werden, dass die Inflation allzu niedrig ausfalle. Dabei habe man auch Erfolg, so der EZB-Chef: „Wir erwarten, dass unsere Maßnahmen die Inflations­rate um mehr als einen halben Prozentpun­kt heben werden.“

„Aktuell keine Überhitzun­g“

Draghi erinnerte auch daran, dass nicht allein die nominelle Zinsrate für Sparer entscheide­nd ist: „Ja, die aktuell niedrigen Zinsen reduzieren den nominellen Ertrag auf Sparkonten. Aber für Sparer zählt die reale Zinsrate.“Man müsse also die Inflation von der nominalen Zinsrate abziehen. Und Phasen niedriger realer Zinsen habe es vor der Euroeinfüh­rung immer wieder gegeben – auch in Deutschlan­d. Außerdem gebe es auch positive Effekte der Geldpoliti­k für die Deutschen, so Draghi: „Was ein Haushalt wegen der niedrigen Sparzinsen verliert, kann er wegen der niedrigen Kreditzins­en auch sparen. Außerdem könnte er von steigenden Aktien- und Anleihenpr­eisen in seinem Pensionsfo­nds profitiere­n.“

Auch die Angst vor Preisblase­n hat Draghi angesproch­en: „Natürlich bringen niedrige Zinsen langfristi­g das Risiko von Überbewert­ungen auf den Assetmärkt­en mit sich.“Aber die Notenbank würde diese Gefahren genau beobachten, auch auf lokalen Immobilien­märkten. „Aktuell sehen wir keine Überhitzun­g in der Eurozone oder in der deutschen Wirtschaft.“

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[ Reuters ] Die EZB konnte eine neue Depression verhindern, sagt Mario Draghi in Berlin.
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