Die Presse

Träum gut in Warschaus Berggasse

Ausstellun­g. In einer Wohnung im Herrengass­en-Hochhaus hat der großartige polnische Künstler Robert Ku´smirowski uns eine Kulisse fürs Erinnern eingericht­et.

- VON ALMUTH SPIEGLER Bis 30. 10., Neuer Wiener Kunstverei­n, Herrengass­e 6−8, Stiege 3, Top 4, Wien 1. Mittwoch bis Freitag 17–19 Uhr und nach Vereinbaru­ng.

Er ist einer der großen Täuscher in der zeitgenöss­ischen Kunst – und einer der größten Geschichte­nerzähler. Unvergesse­n, als Robert Kusmirowsk­i´ (1973 in Łod´z´ geboren) bei einer der ersten Berlin Biennalen 2006 in irgendeine­n Stock, in irgendeine­n Raum einer jüdischen Mädchensch­ule einen Eisenbahnw­aggon stellte. Beziehungs­weise die Eins-zu-eins-Attrappe eines dieser Waggons, bei denen man sofort an KZ-Transporte denken muss. Wie ein aus Raum und Zeit gefallener Memorial-Meteorit stand er plötzlich in diesem Zimmer, aus bemalten Brettern und Styropor oder was auch immer für Abfallmate­rial. Kulisse. Geschichte. Erinnerung als Konstrukti­on.

Kusmirowsk­i´ ist mittlerwei­le einer der bekanntest­en und geschätzte­sten polnischen Gegenwarts­künstler. Seine Landsfrau Kasia Uszynski hat ihn jetzt erstmals nach Wien gebracht, in ihren Neuen Wiener Kunstverei­n im Herrengass­en-Hochhaus. Eine tolle Location für jemanden, der mit „Psychoarch­itekturen“arbeitet, wie Kusmirowsk­i´ es ausdrückt, der „Staub und alte Häuser liebt“. Der sonst hier bespielte Heizungske­ller ist es diesmal nicht geworden, sondern man geht zu Kusmirowsk­is´ Installati­on „Träumgutst­raße“wie zu Besuch bei einer alten Dame, wird von Schildern zu einer kleinen, leer stehenden Wohnung geführt. Hier kann man dann anläuten bei der Vergangenh­eit.

Drinnen erst einmal Schock, Trauma. Ein Zementsack ist hier aufgebahrt, an der Oberseite ist er aufgeklapp­t, in ihm scheint wie in einem Schlafsack ein Baby zu liegen, jedenfalls wurde aus dem weißen Staub ein Gesichtche­n modelliert. Tot, verscharrt, wieder- entdeckt? Daneben hängt die „Charakter“Studie eines psychisch kranken Kindes, derartige Zeichnunge­n haben Ärzte im 18., 19. Jahrhunder­t untereinan­der getauscht. Es ist eine Fälschung, angefertig­t von Kusmirowsk­i.´ Das Erzählen anhand von Fälschunge­n ist ein wesentlich­er Zug von Kusmirowsk­is´ theatraler Kunst. Ihr Konzentrat ist im Nebenraum zu finden, einem Zimmer, das wie ausgebrann­t wirkt: Der Tisch ist verkohlt, darauf stehen noch Teetassen, Löffel, eine Zuckerdose, alles schwarz, alles verlassen, als wäre hier gerade noch jemand gesessen. Die Bilderrahm­en an der Wand sind nur Fragmente, leer, windschief, wenn sie Bilder beinhalten, dann sind diese verrußt. Das Klavier, der Bibliothek­skasten, alles Ruinen. Man steht auf dem zerfetzten Teppich wie ein Schauspiel­er, der sich an seinen Text nur mühsam erinnert. Man muss ihn nachlesen.

Auch in Warschau gibt es eine Berggasse

Denn „Träumgutst­raße“bezieht sich auf einen bestimmten Ort, dessen Erinnerung Kusmirowsk­i´ erstmals 2009 am selbigen beschworen hat: das spätbarock­e Czapski-Palais war zwischen 1862 und 1913, als hier die Krasin´ski-Bibliothek beheimatet war, ein Zentrum des gesellscha­ftlichen, politische­n und kulturelle­n Lebens in Warschau. Bis es 1939 von deutscher Artillerie zerbombt wurde. Im 1946 wiederaufg­ebauten (also eigentlich gefälschte­n) Palast ist heute die Kunstakade­mie beheimatet. Ihre offizielle Adresse in der Traugutt-Straße gab Kusmirowsk­i´ die Inspiratio­n für den Titel, „Träumgutst­raße“. Vielleicht aber war die zweite Adresse des Palasts, die Berggasse (diese gibt es auch in Warschau), noch ausschlagg­ebender.

 ?? [ Neuer Kunstverei­n] ?? Erinnerung­sfetzen an das einstige kulturelle Zentrum Warschaus, den Czapski-Palast.
[ Neuer Kunstverei­n] Erinnerung­sfetzen an das einstige kulturelle Zentrum Warschaus, den Czapski-Palast.

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