Träum gut in Warschaus Berggasse
Ausstellung. In einer Wohnung im Herrengassen-Hochhaus hat der großartige polnische Künstler Robert Ku´smirowski uns eine Kulisse fürs Erinnern eingerichtet.
Er ist einer der großen Täuscher in der zeitgenössischen Kunst – und einer der größten Geschichtenerzähler. Unvergessen, als Robert Kusmirowski´ (1973 in Łod´z´ geboren) bei einer der ersten Berlin Biennalen 2006 in irgendeinen Stock, in irgendeinen Raum einer jüdischen Mädchenschule einen Eisenbahnwaggon stellte. Beziehungsweise die Eins-zu-eins-Attrappe eines dieser Waggons, bei denen man sofort an KZ-Transporte denken muss. Wie ein aus Raum und Zeit gefallener Memorial-Meteorit stand er plötzlich in diesem Zimmer, aus bemalten Brettern und Styropor oder was auch immer für Abfallmaterial. Kulisse. Geschichte. Erinnerung als Konstruktion.
Kusmirowski´ ist mittlerweile einer der bekanntesten und geschätztesten polnischen Gegenwartskünstler. Seine Landsfrau Kasia Uszynski hat ihn jetzt erstmals nach Wien gebracht, in ihren Neuen Wiener Kunstverein im Herrengassen-Hochhaus. Eine tolle Location für jemanden, der mit „Psychoarchitekturen“arbeitet, wie Kusmirowski´ es ausdrückt, der „Staub und alte Häuser liebt“. Der sonst hier bespielte Heizungskeller ist es diesmal nicht geworden, sondern man geht zu Kusmirowskis´ Installation „Träumgutstraße“wie zu Besuch bei einer alten Dame, wird von Schildern zu einer kleinen, leer stehenden Wohnung geführt. Hier kann man dann anläuten bei der Vergangenheit.
Drinnen erst einmal Schock, Trauma. Ein Zementsack ist hier aufgebahrt, an der Oberseite ist er aufgeklappt, in ihm scheint wie in einem Schlafsack ein Baby zu liegen, jedenfalls wurde aus dem weißen Staub ein Gesichtchen modelliert. Tot, verscharrt, wieder- entdeckt? Daneben hängt die „Charakter“Studie eines psychisch kranken Kindes, derartige Zeichnungen haben Ärzte im 18., 19. Jahrhundert untereinander getauscht. Es ist eine Fälschung, angefertigt von Kusmirowski.´ Das Erzählen anhand von Fälschungen ist ein wesentlicher Zug von Kusmirowskis´ theatraler Kunst. Ihr Konzentrat ist im Nebenraum zu finden, einem Zimmer, das wie ausgebrannt wirkt: Der Tisch ist verkohlt, darauf stehen noch Teetassen, Löffel, eine Zuckerdose, alles schwarz, alles verlassen, als wäre hier gerade noch jemand gesessen. Die Bilderrahmen an der Wand sind nur Fragmente, leer, windschief, wenn sie Bilder beinhalten, dann sind diese verrußt. Das Klavier, der Bibliothekskasten, alles Ruinen. Man steht auf dem zerfetzten Teppich wie ein Schauspieler, der sich an seinen Text nur mühsam erinnert. Man muss ihn nachlesen.
Auch in Warschau gibt es eine Berggasse
Denn „Träumgutstraße“bezieht sich auf einen bestimmten Ort, dessen Erinnerung Kusmirowski´ erstmals 2009 am selbigen beschworen hat: das spätbarocke Czapski-Palais war zwischen 1862 und 1913, als hier die Krasin´ski-Bibliothek beheimatet war, ein Zentrum des gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Lebens in Warschau. Bis es 1939 von deutscher Artillerie zerbombt wurde. Im 1946 wiederaufgebauten (also eigentlich gefälschten) Palast ist heute die Kunstakademie beheimatet. Ihre offizielle Adresse in der Traugutt-Straße gab Kusmirowski´ die Inspiration für den Titel, „Träumgutstraße“. Vielleicht aber war die zweite Adresse des Palasts, die Berggasse (diese gibt es auch in Warschau), noch ausschlaggebender.