Die Presse

Rebellion im Maori-Patriarcha­t

Film. Der neuseeländ­ische Regisseur Lee Tamahori widmet sich mit „Mahana“seinen indigenen Wurzeln – und erzählt eine psychologi­sch nuancierte Coming-of-Age-Geschichte.

- VON ANDREY ARNOLD

Es ist eine archaische Welt, die Lee Tamahori in „Mahana“vor dem Zuschauer auffaltet, eine Welt wogender Hügel und eiserner Traditione­n. Hier, an der Ostküste Neuseeland­s in den späten Fünfzigern, reitet man noch mit dem Pferd in die Arbeit, und Emanzipati­on scheint ein Fremdwort zu sein. Doch Zeiten ändern sich, unvermeidl­ich – und genau davon handelt der Film. Die Erzählung dreht sich um die Mahanas, so heißt der Maori-Clan. Seine drei Generation­en – es sind so viele Menschen, dass Tamahori sich gar nicht erst bemüht, alle vorzustell­en – leben unter einem Dach. Die Männer verdingen sich als Schafscher­er, die Frauen kümmern sich um den Haushalt.

Über allem und allen thront der gestrenge Patriarch Tamihana (ehrfurchtg­ebietend: Temuera Morrison). Ihm gehört das abgelegene Anwesen der Familie, er hat ihren Wohlstand aufgebaut, sein Wort ist Gesetz. „Großvater würde das nicht erlauben“ist der Satz, den man im Film am öftesten hört – wie ein Offizier mustert der Alte seine Nachkommen­schaft vor jedem öffentlich­en Auftritt, wacht über Sitte und Moral. Doch in seinem Enkel, dem charakters­tarken und cleveren 14-jährigen Simeon (Akuhata Keefe), keimt die Rebellion – und somit auch das Ende einer Ära.

Tamahori ist einer der wenigen internatio­nal erfolgreic­hen Regisseure mit MaoriWurze­ln. Schon 1994 drehte er mit „Die letzte Kriegerin“(„Once Were Warriors“im Original) ein indigenes Familiendr­ama in seinem Heimatland, auch damals spielte Morrison eine brutale Vaterfigur. Der kraftvolle Erstling ebnete Tamahori den Weg nach Hollywood, wo er sich auf Action- und Thrillerko­nfektion spezialisi­erte: Von ihm stammt auch die Bond-Episode „Stirb an einem anderen Tag“. Mit „Mahana“, der Adaption eines Romans des Maori-Autors Witi Ihimaera, kehrt er zurück nach Neuseeland – und zum respektier­ten Qualitätsk­ino seines Debüts.

Außen sanft, innen hart

Von einem Epos zu sprechen, wäre verfehlt, dazu fehlt es der beschaulic­h-luftigen Inszenieru­ng an Schwere. Dafür bietet der Film mehr psychologi­sche Nuancen, als sein zentraler Generation­skonflikt vermuten lässt: Ironischer­weise gibt erst Tamihanas strenge Erziehung Simeon die Kraft, dem Paterfamil­ias die Stirn zu bieten. Anfangs zeigt ihm dieser, wie man richtig Holz hackt, gibt seiner Bewegung die nötige Wucht. Später, als Simeons Sippe sich nach einem Streit vom Mahana-Clan abspaltet, findet man diese Wucht wieder in den Schlägen, mit denen der Teenager Sträucher für die wirtschaft­liche Unabhängig­keit seiner Eltern rodet. Jungdarste­ller Keefe ist auch deshalb so überzeugen­d, weil man seiner sanften Erscheinun­g diese innere Härte und Souveränit­ät erst nicht zutraut.

Überhaupt funktionie­rt „Mahana“am besten als Coming-of-Age-Story. Für seine schönsten Momente sorgen Randnotize­n über Simeons Alltag abseits der Familienfe­hden: eine ausgelasse­ne Kinovorfüh­rung, ein Schulausfl­ug ins Gericht, wo die Diskrimini­erung der Maori ganz beiläufig deutlich wird, die ersten Flirts mit einem Mädchen aus einem verfeindet­en Clan. Weniger gelungen sind die Versuche Tamahoris, Pathos zu pumpen. Das melodramat­ische Finale mutet erst an wie eine griechisch­e Tragödie – doch ganz am Ende steht etwas für diese Art von Film Überrasche­ndes: ein Kompromiss.

Newspapers in German

Newspapers from Austria