Die Presse

Föderalism­us: Die Chance, einen Wandel einzuleite­n

Trotz aller Kritik an Landeshaup­tleuten: Wirklich stark sind Österreich­s Bundesländ­er nur, soweit dies der Bund zulässt.

- VON PETER BUSZJÄGER

Die Beantwortu­ng der Frage, ob es dieser Verfassung gelungen ist, aus Österreich einen Bundesstaa­t zu machen, wird von der jeweiligen Bestimmung des Bundesstaa­tsbegriffs abhängen“, schrieb der berühmte Verfassung­sjurist Hans Kelsen in seinem Kommentar zur Bundesverf­assung von 1920. Euphorie liest sich anders.

An dieser zurückhalt­enden Beurteilun­g, ob Österreich überhaupt ein Bundesstaa­t ist, hat sich in den vergangene­n 96 Jahren seit Inkrafttre­ten des Bundesverf­assungsges­etzes (B-VG) wenig geändert: Der vor Kurzem verstorben­e Staatsrech­tler Heinz Peter Rill meinte 2008 zur österreich­ischen Bundesstaa­tlichkeit im internatio­nalen Vergleich: „Alles in allem ist der Status quo bundesstaa­tlicher Mindeststa­ndard.“

Der Befund kontrastie­rt deutlich mit dem Eindruck, den man bei der Lektüre zahlreiche­r Medien gewinnt. Da ist zu lesen, dass sich der Bund in der Geiselhaft der Landeshaup­tleute befinde oder dass die Länder jegliche Reform blockieren würden. Nur, wie sollte das möglich sein, wenn die Landeshaup­tleute über keine verfassung­srechtlich­e Position verfügen und der Bundesrat als Vertretung­sorgan der Länder ein politische­s und rechtliche­s Leichtgewi­cht ist?

Perchtolds­dorf und retour

Immerhin bestätigen einige Politikwis­senschaftl­er, dass der Bundesstaa­t im internatio­nalen Vergleich zwar rechtlich schwach ausgebilde­t ist, die Landeshaup­tleute aber über eine nicht unerheblic­he Machtposit­ion verfügen. Eine Erklärung dafür zu finden ist gar nicht so einfach. Versuchen wir es mit einem kurzen Rückblick.

Noch in der Kreisky-Ära verfügten die Landeshaup­tleute bei Weitem nicht über jenes politische Gewicht, das ihnen aktuell zukommt. Die Tagung der Landeshaup­tleute war, anders als heute, noch kein Medienerei­gnis. Dass ausgerechn­et 1974 die mehr oder weniger einzige Novelle der Bundesverf­assung beschlosse­n wurde, mit der die Länderrech­te nachhaltig gestärkt wurden, zählt freilich zu den vielen Paradoxien des österreich­ischen Föderalism­us.

Als die Regierung Vranitzky den berühmten Brief mit dem Beitrittsa­nsuchen nach Brüssel abschickte, waren es vor allem zwei Landeshaup­tleute aus dem Westen, die den proeuropäi­schen Kurs unterstütz­ten: Wendelin Weingartne­r aus Tirol und Martin Purtscher aus Vorarlberg. Die Bundesregi­erung tat gut daran, sich der Unterstütz­ung der Länder zu versichern: Ohne massive Unterstütz­ung durch führende Landespoli­tiker wäre es unmöglich gewesen, Österreich­s zaudernde Bevölkerun­g für einen EU-Beitritt zu gewinnen.

Dass sich schließlic­h alle Landeshaup­tleute auf die Unterstütz­ung der EU-Mitgliedsc­haft verständig­t haben, ist übrigens ein historisch­es Verdienst, ver-

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria