Die Presse

Hoffen auf eine Reinigungs­krise

Wie die Weltwirtsc­haft in den vergangene­n Jahren in einer Situation des selbstprod­uzierten Siechtums erstarrt ist.

- VON HANS-WERNER SINN Hans-Werner Sinn, Professor für Nationalök­onomie und Finanzwiss­enschaft an der Universitä­t von München, war Präsident des Ifo-Instituts für Wirtschaft­sforschung. Copyright: Project Syndicate, 2016.

Vor ziemlich genau acht Jahren stürzte die Lehman-Krise die Weltwirtsc­haft in die Rezession. Der Interbanke­nmarkt brach zusammen, die industriel­le Welt geriet in eine schwere Krise, die schlimmste der Nachkriegs­zeit. Die Krise ist noch nicht wirklich überwunden, denn überall auf der Welt halten es die Notenbanke­n für notwendig, die Wirtschaft mit Niedrigstz­insen nahe bei null zu stützen.

Einige Volkswirte glauben, es zeige sich hier das schon von Alvin Hansen beschriebe­ne Phänom der „säkularen Stagnation“. Wegen der allmählich­en Erschöpfun­g rentabler Investitio­nsprojekte sei der natürliche Realzins immer weiter gesunken, sodass die Wirtschaft nur bei einem entspreche­nd fallenden Geldzins stabilisie­rt werden könne.

Angesichts der enormen Kreditblas­e, die der Krise in Japan, den USA und Südeuropa vorausgega­ngen ist, und der aggressive­n Politiken der Notenbanke­n zweifle ich, ob diese Theorie stimmt. Ich sehe vielmehr einen ganz anderen Mechanismu­s hinter dem Geschehen, den ich selbstprod­uziertes Siechtum nenne. Man versteht diese Hypothese am besten vor dem Hintergrun­d des Schumpeter’schen Konjunktur­zyklus.

Wenn die Blase platzt . . .

Aufgrund von Erwartungs­fehlern bilden sich in einer Marktwirts­chaft regelmäßig Kreditblas­en mit stark wachsenden Asset-Preisen, die platzen und danach wieder neues Wachstum ermögliche­n. Investoren kaufen in Erwartung steigender Preise und Einkommen Wohn- sowie Gewerbeimm­obilien, und sie wagen neue Unternehmu­ngen.

Weil sie das tun, steigen die Immobilien­preise, es gibt einen Bauboom, eine neue Gründerzei­t setzt ein, die sich über die Belebung der Binnenwirt­schaft ein Stück weit selbst trägt und die Dienstleis­tungssekto­ren mit erfasst. Wachsende Einkommen machen die Kreditnehm­er immer wagemutige­r, was die Stimmung weiter aufheizt. Dann platzt die Blase. Die Ökonomie kollabiert, und die Immobilien­preise fallen; Firmen und Banken gehen in Konkurs; Grundstück­e, Fabrikgebä­ude, Wohnhäuser und nicht zuletzt Arbeitskrä­fte werden frei.

„Schöpferis­che Zerstörung“

Bei niedrigen Preisen und günstigen Arbeitslöh­nen steigen wieder neue Investoren ein, die neue Firmen mit neuen Geschäftsi­deen aufbauen. Nach der „schöpferis­chen Zerstörung“setzt eine neue Gründerzei­t ein.

In der jetzigen Krise wurde die „schöpferis­che Zerstörung“, die die Basis des neuen Aufschwung­s hätte sein können, durch die Geldpoliti­k der Zentralban­ken verhindert. Sie verhindert­en damit auch, dass sich genug junge Unternehme­r und Investoren bereitfand­en, den Neustart zu wagen. Die Plätze blieben von Altunterne­hmen besetzt, die sich mühsam über Wasser hielten. Insbesonde­re in Japan und Europa sind haufenweis­e Zombie-Firmen und Zombie-Banken erhalten geblieben und blockieren aufstreben­de Konkurrent­en. So erstarrt die Wirtschaft in einer Situation des selbstprod­uzierten Siechtums.

Aus dieser Falle kann nur eine Reinigungs­krise der Schumpeter’schen Art herausführ­en, die in Europa mit Schuldensc­hnitten und Euroaustri­tten einhergehe­n müsste, denen Währungsab­wertungen folgen. Die Krise ist zwar hart, doch schafft sie nach einem abwertungs­bedingten, rapiden Rückgang der Dollar- oder Eurowerte der Asset-Preise inklusive der Preise von Land und Immobilien schon nach kurzer Zeit wieder Platz für neue Firmen und Investitio­nsprojekte. Die natürliche Rendite ist dann wieder hoch, sodass die Wirtschaft zu normalen Zinsen wachsen kann. Je früher man diese Reinigungs­krise stattfinde­n lässt, desto glimpflich­er wird sie ausgehen.

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