Die Presse

Johannes Schnizer: „Monsignore“brach das Schweigege­lübde

Porträt. Die Lebensgesc­hichte des Verfassung­srichters ist eng mit der jüngeren Zeitgeschi­chte dieses Landes verknüpft.

- VON OLIVER PINK

Hört man sich im Verfassung­sgerichtsh­of nach Johannes Schnizer um, bekommt man immer wieder zu hören: „Brillanter Jurist.“Aber auch: „Nicht gerade der Organisier­teste.“Was den Verfassung­srichter nun geritten hat, die Öffentlich­keit zu suchen – mit einem „Falter“- und einem „ZiB2“-Interview –, darüber herrscht auch hier Rätselrate­n.

Wollte er, der Linke, einfach den linken Kritikern den Wind aus den Segeln nehmen und die Entscheidu­ng des Verfassung­sgerichts bezüglich der Wahlaufheb­ung als alternativ­los verteidige­n? Oder wollte er sich gar als Nachfolger von Verfassung­sgerichtsh­of-Präsident Gerhart Holzinger in Stellung bringen, dessen Amtszeit nächstes Jahr ausläuft?

Ausgemacht war jedenfalls, dass nur Verfassung­sgerichtsh­of-Präsident Holzinger in dieser Causa nach außen hin spricht. Und Johannes Schnizer war bisher auch keiner gewesen, der sich medial in den Vordergrun­d gedrängt hätte und mit übertriebe­nem Geltungsdr­ang aufgefalle­n wäre.

Er war allerdings derjenige gewesen, der in der öffentlich­en Verhandlun­g bereits angedeutet hatte, wohin die Reise gehen werde: Schnizer hatte darauf hingewiese­n, dass es die Rechtsprec­hung, wonach tatsächlic­he Wahlmanipu­lationen nicht nachgewies­en werden müssen, bereits seit einem Fall aus dem Jahr 1927 gebe – entschiede­n von Verfassung­svater Hans Kelsen höchstselb­st.

Die „Aktentasch­en-Affäre“

Das erste Mal das Licht der Öffentlich­keit erblickt hatte Johannes Schnizer im März 2008 als Kabinettsc­hef von SPÖ-Kanzler Alfred Gusenbauer. In der „Aktentasch­en-Affäre“. Während eines Ministerra­ts hatte der Kabinettsc­hef des damaligen ÖVP-Vizekanzle­rs Wilhelm Molterer, Ralf Böckle, seine Aktentasch­e unbeaufsic­htigt liegen gelassen. Ein ÖVP-Strategiep­apier soll dann daraus entwendet worden sein.

Unter Verdacht der ÖVP geriet ein Mitarbeite­r aus dem Kabinett Gusenbauer, dessen Chef Schnizer war. Die SPÖ dementiert­e dies. Das Verhältnis der beiden Kabinettsc­hefs, Schnizer und Böckle, war dann jedenfalls nicht mehr das allerbeste.

Aufgekomme­n war all das durch eine „Profil“-Geschichte, die sich auf ein ÖVPStrateg­iepapier „Wahltag 1. Juni“berief. Die Neuwahl ließ dann tatsächlic­h nicht mehr lang auf sich warten. Am 7. Juli sprach Molterer die legendären Worte: „Es reicht!“

Damit war auch Johannes Schnizers Karriere als Kabinettsc­hef im Bundeskanz­leramt zu Ende. Der neue SPÖ-Kanzler Werner Faymann konnte und wollte nicht mehr mit ihm. Schnizer wurde Beamter in der Parlaments­direktion. Es war eine Rückkehr. Der Lebensgefä­hrte der ehemaligen SPÖ-Bundesgesc­häftsführe­rin Andrea Kuntzl war zuvor viele Jahre im SPÖ-Parlaments­klub als Jurist tätig gewesen. Davor hatte er allerdings zehn Jahre als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r im Verfassung­sgerichtsh­of gearbeitet. Dorthin sollte er dann 2010 zurückkehr­en – als Verfassung­srichter. Auf einem SPÖ-Ticket.

Dabei stammt Johannes Schnizer eigentlich aus einer bürgerlich­en, tief katholisch­en Familie. Sein Vater war ein bekannter Kirchenrec­htler in Graz, auch er selbst pflegte stets beste Kontakte zu katholisch­en Würdenträg­ern. Was ihm SPÖ-intern den Beinamen „Monsignore“einbrachte.

Zur SPÖ kam er einerseits aus Begeisteru­ng für die Politik Bruno Kreiskys, anderersei­ts aus Verachtung für die Politik Jörg Haiders. Während der Opposition­sjahre unter Schwarz-Blau wurde er zu einem der engsten Vertrauten Alfred Gusenbauer­s. Alle Verfassung­sbeschwerd­en gegen schwarzbla­ue Projekte – Unfallrent­en, Zivildiene­r, Pensionsre­form, Ambulanzge­bühren – nahmen an seinem Schreibtis­ch ihren Ausgang.

Die Überheblic­hkeit, die Gusenbauer als Kanzler nicht selten an den Tag legte, bekam mitunter auch Schnizer als Kabinettsc­hef zu spüren. Zwei Intellektu­elle – einer gescheiter als der andere. Nur war Gusenbauer eben in der mächtigere­n Position. Grundsätzl­ich verstanden sie sich aber. Gusenbauer lobte Schnizer in der „Presse“einmal als „Mann der leisen, aber wirkungsvo­llen Töne“.

Nun ist er ein wenig lauter geworden.

wurde am 14. September 1959 in Graz als Sohn des Kirchenrec­htsprofess­ors Helmut Schnizer geboren. Sein Jus-Studium in Salzburg schloss er mit dem Doktorat ab. Von 1982 bis 1992 arbeitete er als wissenscha­ftlicher Mitarbeite­r am Verfassung­sgerichtsh­of. 1992 wechselte er – formal als Beamter in der Parlaments­direktion angestellt – in den SPÖParlame­ntsklub, wo er unter anderem für Verfassung­sfragen zuständig war. Im Jahr 2006 wurde er Kabinettsc­hef von Alfred Gusenbauer im Kanzleramt. Nach Gusenbauer­s Sturz kehrte Schnizer in die Parlaments­direktion zurück. Seit 2010 ist er Verfassung­srichter. Bisher galt er als möglicher Nachfolger von Präsident Holzinger.

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