Die Presse

Eine Bastion wird von außen und innen beschädigt

Nach der verbreitet­en Kritik am Verfassung­sgerichtsh­of von außen hat mit Johannes Schnizer nun auch ein Richter das Höchstgeri­cht ins Gerede gebracht.

- Mehr zum Thema: benedikt.kommenda@diepresse.com

J ohannes Schnizer hat dem Verfassung­sgerichtsh­of keinen guten Dienst erwiesen. Ausgerückt, um ihn gegen die Kritik von links wegen der Stichwahla­ufhebung in Schutz zu nehmen, hat Schnizer den Gerichtsho­f, dessen Mitglied er ist, erst recht und nun von rechts ins Gerede gebracht.

Entgegen dem Rat seiner Richterkol­legen hat Schnizer das Schweigen des Gremiums von Präsident Gerhart Holzinger abwärts gebrochen und die Entscheidu­ng vom 1. Juli in Interviews kommentier­t. Was dabei ankam, war aber nicht die – völlig richtige – Botschaft, dass der Gerichtsho­f mit der Aufhebung der Wahl Alexander Van der Bellens zum Bundespräs­identen strikt bei seiner über Jahrzehnte und in weit mehr als hundert Fällen praktizier­ten Rechtsprec­hung geblieben war: Verstöße gegen die Regeln über die Abwicklung von Wahlen führen zu deren Aufhebung, wenn sie – egal, mit welcher Wahrschein­lichkeit – das Ergebnis beeinfluss­en konnten. Tatsächlic­he Manipulati­onen brauchen dazu nicht nachgewies­en zu werden.

Angekommen sind stattdesse­n die Nebenbemer­kungen des deklariert­en SPÖMannes: dass nach seinem Empfinden die bei der Wahl unterlegen­e FPÖ die Anfechtung von langer Hand vorbereite­t hätte, dass er seine Stimme Van der Bellen gegeben habe und auch beim nächsten Mal wieder geben werde. So etwas in so einer Position „als persönlich­e Meinung“zu äußern, das hat noch nie funktionie­rt. D er Gerichtsho­f steht damit im üblen Geruch, Politik machen zu wollen. Das ist ihm ab dem Moment der Verkündung der Aufhebung mehr oder minder unterschwe­llig vorgeworfe­n worden. Entgegen ihren Lippenbeke­nntnissen, die Entscheidu­ng zu akzeptiere­n, haben die Grünen kräftig dagegen opponiert. Sie fanden ihre Experten, die mit ernster Miene von einem Fehlurteil sprachen und die konsequent­e Rechtsprec­hung nun, da es erstmals um eine bundesweit­e Wahl ging und der Grün-Kandidat unterlag, für verfassung­swidrig erklärten.

Auf der anderen Seite erwiesen sich auch die Freiheitli­chen nicht gerade als Inbegriff der Glaubwürdi­gkeit. Man muss gar nicht so weit gehen, wie Schnizer zu behaupten, dass die Freiheitli­chen die An- fechtung schon vor der Wahl gezielt vorbereite­t hätten. Aber wenn sie beteuerten, die Korrekthei­t von Wahlen wäre ihr oberstes Ziel: Warum haben sie ihre Wahlbeisit­zer dann nicht schon im Vorhinein darauf eingeschwo­ren, penibel auf die Einhaltung aller Formvorsch­riften zu drängen? Im öffentlich abgehalten­en Verfahren vor dem Verfassung­sgerichtsh­of gab es eine einsame FPÖWahlbei­sitzerin, die noch am Wahltag Protest eingelegt hatte und diesen auch hatte dokumentie­rt haben wollen. E rgebnis der Entscheidu­ng und ihrer Begleitums­tände war ein weitverbre­itetes Unverständ­nis, wie um alles in der Welt der Gerichtsho­f denn nur dazu hatte kommen können. Dabei war das Urteil nach all den vorangegan­genen Wahlentsch­eidungen nicht überrasche­nd, und der Gerichtsho­f machte deutlich, dass jeglicher Missbrauch der Wahl von vornherein ausgeschlo­ssen werden sollte. Die haarsträub­ende Unbekümmer­theit, mit der sich Wahlbehörd­en über verbindlic­he Regeln hinweggese­tzt hatten, wurde von den Kritikern ebenso gern übersehen wie ein zweites Problem, das dem Gerichtsho­f für sich allein gereicht hätte, die Stichwahl aufzuheben: das Durchsicke­rn des zu erwartende­n Wahlergebn­isses im Lauf des Wahlnachmi­ttags, das ein taktisches Abstimmen ermöglicht hatte.

Was bleibt, ist ein Verfassung­sgerichtsh­of, der statt nach außen verteidigt nun auch von innen beschädigt ist. Das ist verheerend in einer Demokratie, deren Institutio­nen ohnehin immer weniger ernst genommen werden. Der Verfassung­sgerichtsh­of darf sich durch den Ausritt eines seiner Mitglieder nicht beirren lassen; er wird gut daran tun, trotz aller Zurufe von außen bei seiner gefestigte­n Rechtsprec­hung zu bleiben, solange es keinen starken Grund zur Abweichung gibt – egal, welche Seite nun im Einzelfall davon profitiert. Eine letzte Instanz zu haben, die in einem Streit entscheide­t, ist ein Wert für sich – selbst wenn man das Ergebnis vielleicht nicht mag.

 ??  ?? VON BENEDIKT KOMMENDA
VON BENEDIKT KOMMENDA

Newspapers in German

Newspapers from Austria