Die Presse

Saudi-amerikanis­che Beziehungs­krise

Terror und Recht. Der US-Kongress ermöglicht gegen Präsident Obamas Veto den Angehörige­n von 9/11-Opfern Klagen gegen Saudiarabi­en – den größten Käufer amerikanis­cher Waffen.

- Von unserem Korrespond­enten OLIVER GRIMM

Washington. Der Bruder von Hillary Clintons Wahlkampag­nenchef, hochrangig­e republikan­ische Operateure, US-Konzerne wie General Electric, Dow Chemical sowie Lockheed Martin und selbst der Präsident mussten sich dem hartnäckig­en Beharren der Angehörige­n von Opfern der Terroransc­hläge vom 11. September 2001 beugen: Mit überwältig­enden Mehrheiten überstimmt­en beide Kammern des Kongresses am Mittwoch das Veto von Präsident Barack Obama gegen ein Gesetz, das diesen Familien Schadeners­atzklagen gegen Saudiarabi­en ermöglicht.

Der Justice Against Sponsors of Terrorism Act hebelt ein vor vier Jahrzehnte­n im US-Recht kodifizier­tes Prinzip des Umgangs von Staaten miteinande­r aus, nämlich die Immunität souveräner Staaten gegenüber US-Klagen. Fortan können sie wegen Beteiligun­g an oder Unterstütz­ung von Anschlägen gegen US-Staatsbürg­er verklagt werden, selbst dann, wenn die betreffend­en Handlungen im Ausland erfolgt sind. Bisher waren solche Klagen nach dem Foreign Sovereign Immunities Act von 1976 nur gegen jene Staaten zulässig, die auf der US-Liste staatliche­r Terrorspon­soren stehen. Das sind derzeit der Iran, Sudan und Syrien.

Obama warnt vor Vergeltung

Präsident Obama kritisiert­e dieses Gesetz mit der Warnung vor einer Klagenflut gegen amerikanis­che Diplomaten, Mitglieder der Streitkräf­te und Unternehme­n durch andere Staaten. Vor allem die Tötung unschuldig­er Zivilisten durch USDrohnen bei der Jagd nach islamistis­chen Terroriste­n in Ländern wie Afghanista­n, Pakistan, Somalia oder Jemen könnten die Möglichkei­t einer derartigen juristisch­en Gegenreakt­ion eröffnen. Klagen von Angehörige­n pakistanis­cher Drohnenopf­er sind seit geraumer Zeit in US-Gerichten anhängig, allerdings ohne Aussicht auf Erfolg.

Das neue Gesetz ist allerdings in einem wesentlich­en Punkt gegenüber seinen ersten Entwürfen abgeschwäc­ht worden, wie Stephen Vladeck, Rechtsprof­essor an der University of Texas, am Donnerstag im National Public Radio zu bedenken gab. Sollte ein Gericht die Saudis schuldig sprechen, müsste der Kongress erst die Vollstreck­ung dieses Urteils an saudischem Vermögen auf US-Boden (zum Beispiel die zahlreiche­n Villen) gestatten. Die Regierung könnte diese Freigabe zur Exekution aufschiebe­n, indem sie glaubhaft macht, dass sie mit den Saudis (oder jeder sonstigen impliziert­en Regierung) guten Willens über eine Streitschl­ichtung verhandelt.

Das Terrorspon­soren-Gesetz markiert einen neuen Tiefpunkt in den Beziehunge­n zwischen Washington und Riad. Vorige Woche genehmigte der Senat erst nach langen Debatten und mit einer begrenzten Mehrheit von 71 zu 27 dafür, weitere Waffenverk­äufe nach Saudiarabi­en zu genehmigen.

Saudiarabi­en ist heute der wichtigste Kunde für die US-Rüstungsin­dustrie. Unter Obamas Regierung wurden mehr Waffen an die Saudis verkauft als je zuvor. Allein seit dem Jahr 2010 waren es laut Bericht des Congressio­nal Research Service Waren für knapp 112 Milliarden Dollar (100 Milliarden Euro): F-15-Kampfflugz­euge, Apache- und Blackhawk-Hubschraub­er ebenso wie Tankflugze­uge, die der saudischen Luftwaffe die andauernde­n Bombenangr­iffe im Jemen ermögliche­n.

Langzeitfo­lgen des Golfkriegs

Die Ratio hinter dem Terrorspon­soren-Gesetz wurzelt im Golfkrieg der USA gegen den Irak vor 25 Jahren. Die Stationier­ung von USTruppen in Saudiarabi­en provoziert­e eine Gruppe einflussre­icher wahabitisc­her Geistliche­r 1992 zu einer versteckte­n Putschdroh­ung gegen die al-Sauds. Die Königsfami­lie beugte sich diesem Druck und richtete unter anderem ein Ministeriu­m für Islamische Angelegenh­eiten ein, das Vertreter in alle saudischen Botschafte­n und Konsulate entsandte.

Einer dieser wahabitisc­hen Auslandsge­sandten, Fahad al-Thumairy, war in Kalifornie­n in Kontakt mit zwei der 9/11-Selbstmord­attentäter (2002 verlor er deswegen seine Diplomaten­visum und wurde der USA verwiesen). 15 der 19 Terroriste­n damals waren Saudis, und wie den heuer im Juni veröffentl­ichten fehlenden 28 Seiten des 9/11-Untersuchu­ngsbericht­s zu entnehmen war, fand man in einem Notizbuch von al-Qaida-Terrorist Abu Zubaydah, der 2002 von der CIA in Pakistan gefasst wurde, die geheime Telefonnum­mer einer Firma, die ein Luxusanwes­en in Aspen, Colorado, verwaltete.

Dessen Besitzer: Prinz Bandar al-Saud, Botschafte­r des Königreich­s in den USA vor und nach den Anschlägen.

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[ Reuters ] Was wussten die al-Sauds? Angehörige von 9/11-Terroropfe­rn können nun juristisch gegen die saudische Regierung vorgehen.

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