Die Presse

Grenzkonfl­ikt in der Unruheprov­inz flammt wieder auf. Kanonendon­ner folgt Krieg der Worte. Indien forciert seine politische Isolation.

Indien/Pakistan.

- VON THOMAS VIEREGGE

Wien/Neu Delhi. Zehn Tage währte die militärisc­he Zurückhalt­ung Indiens nach dem Angriff im Morgengrau­en auf einen indischen Armeeposte­n in der Himalaja-Provinz Kaschmir im Nordwesten des Landes, als an einem Sonntag Granaten im Camp einschluge­n, Zelte und Baracken in Flammen aufgingen und 18 indische Soldaten ihr Leben ließen. Seither sind die Spannungen an der 750 Kilometer langen Demarkatio­nslinie zwischen den Erzrivalen und Atommächte­n Indien und Pakistan erneut aufgeflamm­t, die bereits zu zwei Kriegen um die geteilte Provinz geführt haben. Die friedliche Ouvertüre der Ära Modi, als Indiens Premier seinen pakistanis­chen Amtskolleg­en vor zwei Jahren zu seiner Inaugurati­on in Neu Delhi eingeladen hat, ist längst vom Kanonendon­ner und einem Krieg der Worte übertönt.

„Ich versichere der Nation, dass diejenigen, die hinter diesem abscheulic­hen Anschlag stecken, nicht ungestraft bleiben werden“, drohte Narendra Modi via Twitter unmittelba­r nach dem schwersten Zwischenfa­ll im Kaschmir seit Langem. Zudem bezichtigt­e der indische Premier Pakistan, „Terrorismu­s zu exportiere­n“– eine Beschuldig­ung, die Indien seit Jahr und Tag gegen den Nachbarn erhebt. Rajnath Singh, der Innenminis­ter, ging sogar noch weiter, als er Pakistan als „Terrorstaa­t“attackiert­e. Dass er prompt seine Reisen nach Moskau und Washington absagte, zeigt, dass der Angriff einen Nerv Indiens getroffen hat.

„Chirurgisc­he Schläge“

In der Nacht auf Donnerstag hat Modi seine Drohung nun wahr gemacht. Die indischen Streitkräf­te, so die Diktion in Neu Delhi, hätten im Grenzgebie­t „chirurgisc­he Schläge“ausgeführt. Sie hätten pakistanis­che Extremiste­n unter Beschuss genommen, die im Begriff gewesen seien, nach Indien einzudring­en. Pakistans Verteidigu­ngsministe­r drohte umgehend mit Vergeltung, Premier Nawaz Sharif trommelte seine Regierung zu einer Sondersitz­ung zusammen. Pakistan hat prophylakt­isch schon den Luftraum an der indischen Grenze und eine Autobahn wegen eines Militärman­övers kurzfristi­g gesperrt.

Auf beiden Seiten steigt der Druck nach politische­n Konsequenz­en bis hin zu einer militärisc­hen Reaktion. In Indien war von Wirtschaft­ssanktione­n die Rede und davon, Pakistan das Wasser am Indus abzugraben. „Blut und Wasser können nicht zusammen fließen“, sagte Modi in Anspielung auf das Wasserabko­mmen mit Pakistan.

Die Regierung in Islamabad trifft die Eskalation im Grenzkonfl­ikt zu einem heiklen Zeitpunkt. Der mächtige und populäre Armeechef steht vor der regulären Ablöse. In Pakistan gilt die Armee als Staat im Staat, der Geheimdien­st ISI hat den Aufstieg der Taliban in Afghanista­n gefördert. Nach einem Putsch unter der Regie von Generalsta­bschef Pervez Musharraf im Jahr 1999 gegen Sharif, damals wie heute Premier, hat sich das Militär erst 2008 wieder von der Macht zurückgezo­gen.

Indessen versucht Indien, den diplomatis­chen Druck auf Pakistan auf mehreren Ebenen – nicht zuletzt auch bei der UNO – zu verstärken und das Land politisch zu isolieren. Bei seinem jüngsten Besuch in der Region forderte US-Außenminis­ter John Kerry Pakistan zum effektiver­en Kampf gegen den Extremismu­s auf. Als direkte Folge des Anschlags in Kaschmir sagte Indien die Teilnahme beim Gipfel der südostasia­tischen Staatengem­einschaft in Islamabad im November ab. Auch Afghanista­n, Bangladesc­h und Bhutan schlossen sich inzwischen dem Boykott des Treffens an, wodurch der Gipfel überhaupt platzen könnte.

Indiens Kooperatio­n mit Afghanista­n

Afghanista­ns Wiederannä­herung an den früheren strategisc­hen Partner Indien bringt Pakistan auch an der Westflanke in Bedrängnis. Als Nachfolger Hamid Karzais als afghanisch­er Präsident hat sich Ashraf Ghani anfangs China und Pakistan zugewandt, um die Bedenken in Islamabad vor einem zu großen Einfluss Indiens am Hindukusch zu zerstreuen. Bei einer Visite in Neu Delhi besiegelte Ghani kürzlich indes den Ausbau der Sicherheit­skooperati­on unter Hinweis auf die prekäre Situation in Pakistan. Nach einem end- gültigen US-Abzug könnte Indien in Afghanista­n bald eine noch größere Rolle spielen.

Kaschmir und Jammu, die mehrheitli­ch muslimisch­e Krisenprov­inz, kommt derweil nicht zur Ruhe. Die Proteste gegen die Zentralreg­ierung in Neu Delhi reißen nicht ab, in der Hauptstadt Srinagar tobten zuletzt Straßensch­lachten von Demonstran­ten mit der Polizei, die mehr als 80 Menschenle­ben forderten. Der Tod eines jungen Separatist­en hatte die Unruhen angefacht, und selbst die Verhängung des Ausnahmezu­stands konnte sie nicht eindämmen.

Die Militärope­ration Indiens auf pakistanis­chem Territoriu­m könnte einen Konflikt anheizen, der seit Jahrzehnte­n schwelt. Seit 2003 herrscht zwar Waffenstil­lstand im Kaschmir, doch islamistis­che Gruppen aus Pakistan halten die Spannungen am Köcheln. Indien wollte ein Exempel statuieren. Die Gefechte zwischen indischen und pakistanis­chen Truppen zogen sich über Stunden. Die Kommunikat­ionskanäle sind immerhin noch nicht abgerissen: Ein hochrangig­er indischer General informiert­e seinen pakistanis­chen Widerpart über die Militärakt­ion.

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