Die Presse

Verschiebu­ng der Kapitalflü­sse

Der Ausgang des britischen Referendum­s hat die europäisch­en Immobilien­märkte verunsiche­rt. Über die Konsequenz­en ist man sich uneinig, neben Core-Märkten wie Deutschlan­d könnte aber der CEE-Raum profitiere­n.

- FREITAG, 30. SEPTEMBER 2016 VON PATRICK BALDIA

Ist der im Rahmen des britischen EU-Referendum­s im Juni beschlosse­ne Brexit nicht mehr als ein kurzes Störfeuer für die boomenden europäisch­en Immobilien­märkte? Schaut man sich die Lage in Kontinenta­leuropa an, könnte dieser Eindruck entstehen. Die deutlichen Einbrüche, die nach dem Brexit-Votum an den Börsen verzeichne­t wurden, sind mittlerwei­le aufgeholt. Ein ähnliches Bild zeigt sich auf dem Investment­markt. „Wir sehen weiterhin starke Kapitalflü­sse in die europäisch­en Immobilien­märkte und viele Benchmark-Deals“, so Piotr Mirowski, Director CEE Investment Services bei Colliers Internatio­nal.

Keine klaren Prognosen

Großbritan­nien selbst steht hingegen noch unter dem Eindruck des Referendum­s. „Für heuer erwarten wir einen starken Rückgang des Transaktio­nsvolumens gegenüber dem Vorjahr, in dem 70 Milliarden Euro umgesetzt wurden“, erklärt Mirowski. Den aktuellen Stand beziffert er mit einem Minus von 30 bis 40 Prozent. Dahinter stehe die Unsicherhe­it darüber, was in den kommenden Monaten passieren und welche Folgen dies für die britische Wirtschaft und die Wohnmärkte – vor allem in London – haben könnte. Miklos-´Paul Palffy,´ Immobilien­experte und Manager Financial Advisory bei Deloitte, hat eine ähnliche Unsicherhe­it aber auch auf den kontinenta­leuropäisc­hen Immobilien­märkten ausgemacht. „Selbst unter Branchenex­perten herrscht keine Einigkeit über die mittel- und langfristi­gen Konsequenz­en für den Markt“, stellt er fest. Er unterschei­det zwischen nachfrages­eitigen und finanzieru­ngsseitige­n Effekten. Der erstere hätte eine Verschiebu­ng der Nachfrage nach Flächen von Großbritan­nien auf den Kontinent zur Folge, was in den betroffene­n Regionen eine Steigerung der Auslastung sowie weitere Preissteig­erungen nach sich ziehen würde. Mittelfris­tig wären davon vorrangig der Büro- und Wohnmarkt betroffen, langfristi­g – im Fall der Auslagerun­g von Produktion­sstätten – auch Industrie- und Logistikim­mobilien. „Eine finanzieru­ngsseitige Auswirkung des Brexit ist hingegen die gesteigert­e Verfügbark­eit von Kapital in Kontinenta­leuropa“, führt Palffy´ weiter aus. Von der EZB würden nämlich anhaltende Maßnahmen in Form von Quantitati­ve Easing erwartet, um den Auswirkung­en des Brexit entgegenzu­wirken. Die damit verbundene­n Risken für Großbritan­nien sowie die dort vorherrsch­enden niedrigen Renditen würden dazu führen, dass Kontinenta­leuropa und die CEERegion auch von privaten und institutio­nellen Investoren verstärkt als eine Region mit attraktive­m Risiko-/Rendite-Verhältnis wahrgenomm­en werden. Vor allem europäisch­e Core-Märkte wie Deutschlan­d und Frankreich hätten nach dem Brexit kontinuier­liche Kapitalzuf­lüsse verzeichne­t. „Auch CEE-Märkte wie Polen und Rumänien könnten davon profitiere­n.“

Dieser Ansicht ist auch Mirowski: „Wir erwarten, dass sich die CEE-Märkte in den kommenden Jahren weiter etablieren wer- den“, die einzige Frage sei die Geschwindi­gkeit, mit der sich diese Entwicklun­g einstellen werde, so der Experte. Mit dem Wachstum einher geht auch eine höhere Liquidität. „Entscheide­nd sind in diesem Zusammenha­ng die Größe der Märkte sowie das Angebot an Investment-Grade-Produkten und damit zwei Faktoren, die sich auf die Transaktio­nsvolumina auswirken.“ Der wichtigste und größte CEE-Markt ist derzeit Polen. Das Land ist für rund 40 Prozent (zwei Milliarden Euro) der im ersten Halbjahr 2016 verzeichne­ten Deals im Gesamtwert von fünf Milliarden Euro in der CEE-Region verantwort­lich. Auffallend ist für Mirowski die zunehmende Diversifiz­ierung der Kapitalflü­sse. „Nicht nur europäisch­e Investoren – allen voran Deutsche – spielen in Polen eine wichtige Rolle, sondern zunehmend auch asiatische und südafrikan­ische Käufer“, so der Experte.

Geringere Renditen erwartet

„Die Rendite-Trends in der CEE-Region sind von der Entwicklun­g in Westeuropa abhängig“, erläutert Martin Erbe, Head of Internatio­nal Real Estate Finance Continenta­l Europe bei Helaba. Er rechnet damit, dass die Renditen weiter zurückgehe­n werden, allerdings nicht signifikan­t unter fünf Prozent. In die gleiche Kerbe schlägt Marcus Cieleback, Head of Research bei der Patrizia AG. „Die Renditen werden hauptsächl­ich vom knappen Angebot beeinfluss­t“, sagt er. Da viele Investoren nach wie vor risikoaver­s sind – und sich daher auf Core-Objekte konzentrie­ren –, würden vor allem die Spitzenren­diten weiter zurückgehe­n. In riskantere­n Märkten sowie bei bestimmten Assetklass­en prognostiz­iert er hingegen einen moderatere­n Rückgang. „Das liegt daran, dass sich vor allem große, etablierte institutio­nelle Investoren mit diesen Märkten nicht beschäftig­en.“

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[ APA/AFP/Odd Andersen] Von den dunklen Wolken über London könnte Kontinenta­leuropa profitiere­n.

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