Verschiebung der Kapitalflüsse
Der Ausgang des britischen Referendums hat die europäischen Immobilienmärkte verunsichert. Über die Konsequenzen ist man sich uneinig, neben Core-Märkten wie Deutschland könnte aber der CEE-Raum profitieren.
Ist der im Rahmen des britischen EU-Referendums im Juni beschlossene Brexit nicht mehr als ein kurzes Störfeuer für die boomenden europäischen Immobilienmärkte? Schaut man sich die Lage in Kontinentaleuropa an, könnte dieser Eindruck entstehen. Die deutlichen Einbrüche, die nach dem Brexit-Votum an den Börsen verzeichnet wurden, sind mittlerweile aufgeholt. Ein ähnliches Bild zeigt sich auf dem Investmentmarkt. „Wir sehen weiterhin starke Kapitalflüsse in die europäischen Immobilienmärkte und viele Benchmark-Deals“, so Piotr Mirowski, Director CEE Investment Services bei Colliers International.
Keine klaren Prognosen
Großbritannien selbst steht hingegen noch unter dem Eindruck des Referendums. „Für heuer erwarten wir einen starken Rückgang des Transaktionsvolumens gegenüber dem Vorjahr, in dem 70 Milliarden Euro umgesetzt wurden“, erklärt Mirowski. Den aktuellen Stand beziffert er mit einem Minus von 30 bis 40 Prozent. Dahinter stehe die Unsicherheit darüber, was in den kommenden Monaten passieren und welche Folgen dies für die britische Wirtschaft und die Wohnmärkte – vor allem in London – haben könnte. Miklos-´Paul Palffy,´ Immobilienexperte und Manager Financial Advisory bei Deloitte, hat eine ähnliche Unsicherheit aber auch auf den kontinentaleuropäischen Immobilienmärkten ausgemacht. „Selbst unter Branchenexperten herrscht keine Einigkeit über die mittel- und langfristigen Konsequenzen für den Markt“, stellt er fest. Er unterscheidet zwischen nachfrageseitigen und finanzierungsseitigen Effekten. Der erstere hätte eine Verschiebung der Nachfrage nach Flächen von Großbritannien auf den Kontinent zur Folge, was in den betroffenen Regionen eine Steigerung der Auslastung sowie weitere Preissteigerungen nach sich ziehen würde. Mittelfristig wären davon vorrangig der Büro- und Wohnmarkt betroffen, langfristig – im Fall der Auslagerung von Produktionsstätten – auch Industrie- und Logistikimmobilien. „Eine finanzierungsseitige Auswirkung des Brexit ist hingegen die gesteigerte Verfügbarkeit von Kapital in Kontinentaleuropa“, führt Palffy´ weiter aus. Von der EZB würden nämlich anhaltende Maßnahmen in Form von Quantitative Easing erwartet, um den Auswirkungen des Brexit entgegenzuwirken. Die damit verbundenen Risken für Großbritannien sowie die dort vorherrschenden niedrigen Renditen würden dazu führen, dass Kontinentaleuropa und die CEERegion auch von privaten und institutionellen Investoren verstärkt als eine Region mit attraktivem Risiko-/Rendite-Verhältnis wahrgenommen werden. Vor allem europäische Core-Märkte wie Deutschland und Frankreich hätten nach dem Brexit kontinuierliche Kapitalzuflüsse verzeichnet. „Auch CEE-Märkte wie Polen und Rumänien könnten davon profitieren.“
Dieser Ansicht ist auch Mirowski: „Wir erwarten, dass sich die CEE-Märkte in den kommenden Jahren weiter etablieren wer- den“, die einzige Frage sei die Geschwindigkeit, mit der sich diese Entwicklung einstellen werde, so der Experte. Mit dem Wachstum einher geht auch eine höhere Liquidität. „Entscheidend sind in diesem Zusammenhang die Größe der Märkte sowie das Angebot an Investment-Grade-Produkten und damit zwei Faktoren, die sich auf die Transaktionsvolumina auswirken.“ Der wichtigste und größte CEE-Markt ist derzeit Polen. Das Land ist für rund 40 Prozent (zwei Milliarden Euro) der im ersten Halbjahr 2016 verzeichneten Deals im Gesamtwert von fünf Milliarden Euro in der CEE-Region verantwortlich. Auffallend ist für Mirowski die zunehmende Diversifizierung der Kapitalflüsse. „Nicht nur europäische Investoren – allen voran Deutsche – spielen in Polen eine wichtige Rolle, sondern zunehmend auch asiatische und südafrikanische Käufer“, so der Experte.
Geringere Renditen erwartet
„Die Rendite-Trends in der CEE-Region sind von der Entwicklung in Westeuropa abhängig“, erläutert Martin Erbe, Head of International Real Estate Finance Continental Europe bei Helaba. Er rechnet damit, dass die Renditen weiter zurückgehen werden, allerdings nicht signifikant unter fünf Prozent. In die gleiche Kerbe schlägt Marcus Cieleback, Head of Research bei der Patrizia AG. „Die Renditen werden hauptsächlich vom knappen Angebot beeinflusst“, sagt er. Da viele Investoren nach wie vor risikoavers sind – und sich daher auf Core-Objekte konzentrieren –, würden vor allem die Spitzenrenditen weiter zurückgehen. In riskanteren Märkten sowie bei bestimmten Assetklassen prognostiziert er hingegen einen moderateren Rückgang. „Das liegt daran, dass sich vor allem große, etablierte institutionelle Investoren mit diesen Märkten nicht beschäftigen.“