Die Presse

„Kafka musste nicht weg, um fremd zu sein“

Literatur. Der Schriftste­ller Norman Manea ist mit seinem jüngsten Buch „Wir sind alle im Exil“zu Gast in Österreich. Der „Presse“erzählte er vom Briefeschr­eiben, einer abgeschnit­tenen Zunge und seiner poetischen Ahnung vom Jenseits.

- FREITAG, 30. SEPTEMBER 2016 VON NORBERT MAYER

Die Presse: Ihre jüngste Essay-Sammlung hat den Titel: „Wir sind alle im Exil“. Was erwartet uns denn? Kennt man dort auch so etwas wie Glück oder Gleichgewi­cht? Norman Manea: Exil ist nicht nur eine schockiere­nde Erfahrung, sondern zudem eine pädagogisc­he. Bertolt Brecht hat gesagt, dass Exil die Dialektik der Veränderun­g bedeute. Erst ist es eine Entwurzelu­ng, doch dann erfährt man das Unbekannte anderer Orte, Zivilisati­onen, Menschen. Davon kann der Exilant viel lernen. Er verändert sich auch selbst. Mir passierte das, als ich bereits fünfzig war. Ich kam nach Deutschlan­d und dann in die USA. Bei allen Turbulenze­n ist die Fremde eine Chance. Man muss sein Leben ändern, seine Mentalität. Das kann manchmal sehr positive Effekte ergeben.

Ein Stück von daheim haben Sie aber behalten, seit Sie 1986 Rumänien verlassen haben – die rumänische Sprache. Hat es Sie nie gereizt, im Englischen ihrer Wahlheimat USA zu schreiben? Sie unterricht­en doch auch auf Englisch. Ich habe das überlegt, aber es funktionie­rt nicht. Als Dichter kann man es eigentlich nur, wenn man die Sprache vor dem zwölften Lebensjahr erlernt. Ich war fünfzig. Ich kann auf Englisch lesen und sogar scherzen, aber nichts komplex Literarisc­hes schaffen. Man wächst mit seiner Sprache mit, benötigt all diese Phasen, um sich auszudrück­en. Im Deutschen wäre mir das leichter gefallen, weil ich aus der Bukowina stamme, die einmal zu Österreich gehört hat. Ich konnte noch etwas von diesem österreich­ischen Deutsch.

Die Essays haben Sie vom Wendejahr 1989 bis 2015 geschriebe­n. Was hat sich in dieser Zeit entwickelt? Viel Optimismus kann man aus den Texten nicht herauslese­n. Ich bin kein Optimist. Das ist ein großer Vorteil. Pessimiste­n können sich zumindest positiv überrasche­n lassen. Persönlich war für mich die größte Überraschu­ng, dass ich, obwohl ich kein einfacher Autor bin, in einem anderen Land mit einer fremden Sprache einen Platz gefunden habe, an dem ich erfolgreic­h war. Meine Werke wurden in recht viele Sprachen übersetzt. Als ich 1986 Rumänien verlassen habe, hat man mir einen Pass gegeben. Aber ich verspürte zugleich das Gefühl, dass man mir die Zunge abgeschnit­ten hatte. Zuvor durfte ich nicht sagen, was ich dachte, weil das KP-Regime es verbot, dann gab es die Freiheit, aber ich hatte nicht die Sprache, das im Exil auszudrück­en. Das war am Anfang frustriere­nd. Ich fühlte mich völlig verlassen, verloren, war ein unbekannte­r rumänische­r Autor. Ich war nicht schön genug für Hollywood, was also sollte ich tun?

Die Wahrschein­lichkeit, Depression­en zu bekommen oder sich gar umzubringe­n, ist in solch einer Situation recht groß. Richtig. Exil bedeutet oft das Ende, aber an manchen glückliche­n Orten ist es eben ein Beginn. Ich werde nie ein Amerikaner sein, aber ich habe dort eine Chance bekommen. Und ich bin nicht allein. Heute ist das Exil doch weit verbreitet, die Menschen wechseln häufig ihre Länder, es ist ein ständiger Fluss. Der Dichter Ovid war in seiner Verbannung am Schwarzen Meer übel dran. Heute hätte er viel mehr Möglichkei­ten, in Kontakt mit aller Welt zu bleiben. Allein schon durch ein Mobiltelef­on.

Sie erzählen in einem der frühen Texte des Buchs von einem Postboten. Wie wichtig waren Briefe für Sie, als Sie aus Rumänien nach Westberlin kamen? Ich begann Hunderte Briefe an Freunde in aller Welt zu schreiben, weil ich das Bedürfnis hatte, mein Leben zu rekonstrui­eren. Bereits in Rumänien fühlte ich mich als Weltbürger. Das bekam eine neue Dimension.

Was bedeutet Ihnen der Begriff Heimat? Sie wirken am Bard College und kommen aus der Bukowina. Gibt es Ähnlichkei­ten? Ich habe dort tatsächlic­h das Gefühl, ich sei in der Bukowina. Der englisch-rumänische Autor Edward Kanterian hat einen Essay mit dem Titel „Bukowina am Hudson“verfasst. Wir haben über diese Ähnlichkei­t gesprochen, ich habe sie ihm bestätigt. Man fragt mich oft, warum ich denn nicht in meine Heimat zurückkehr­e. Es wäre eine andere Heimat, ich bin ein anderer Mann geworden. Das wäre eine ganz neue Erfahrung, die wohl ähnlich jener des Exils wäre.

Welcher Exilant, über den Sie geschriebe­n haben, hat Sie am meisten beeindruck­t? Wer hatte die tragischst­e Geschichte? Die tragischst­e ist wohl jene von Franz Kafka, obwohl er nie im Exil war, nur im selbst gewählten Exil in seiner Wohnung in Prag. Kafka musste nicht weg, um fremd zu sein, um sich als Fremder zu fühlen. Selbst die deutsche Sprache nahm er an, als wäre er ein Dieb. Er sendet uns diese unheimlich­e Botschaft. Wir wissen nur, dass wir geboren wurden und sterben werden. Zwischen diesen Grenzen gibt es die tägliche Unsicherhe­it. Kafka ist ein einsamer Prophet.

Ein außergewöh­nlicher Mensch. Mit wem aber würden Sie gern spazieren gehen? Mit guten Freunden von einst in Rumänien. Die meisten von ihnen sind gestorben oder verloren gegangen. Auch im Exil habe ich einen guten Freund gehabt, den Schriftste­ller Antonio Tabucchi. Wir haben uns miteinande­r sehr gut unterhalte­n. Manchmal stelle ich mir vor, und darüber möchte ich vielleicht ein Buch schreiben, was geschehen wird, wenn ich gestorben bin. Wem begegne ich wieder? Meinen Eltern? Meiner Cousine? Meiner alten Geliebten? Oder treffe ich auf der anderen Seite Leute wieder, die schrecklic­h zu mir waren? Ich vermute zwar, es ist dort gar nichts, aber ich habe die Freiheit, mir vorzustell­en, dass sich dort in der Zukunft das Leben auf andere Weise wiederholt, dass man all die Leute wieder trifft, die man geliebt und gehasst hat.

1936 in der Bukowina geboren, 1941 mit seiner Familie in ein KZ in der Ukraine deportiert, war bis zur Emigration 1986 Autor in Bukarest. Er ist Professor für Europäisch­e Kulturstud­ien am Bard College in New York State. Jüngste Publikatio­n: „Wir sind alle im Exil“(Hanser 2015).

hat Manea derzeit in Wien zu Gast. Am Freitag gibt es mit dem Autor ein Gespräch im Rahmen eines Films über ihn: „Le beau danger“(Filmhauski­no am Spittelber­g). Am 4. 10. kommt er in das Literaturh­aus Salzburg, am 6. 10. in die Stadtbibli­othek Linz (jeweils 19 h).

 ?? [ Mirjam Reither] ?? Norman Manea erhält demnächst in Mexiko als erster Autor Rumäniens den mit 150.000 Dollar dotierten FIL-Preis. Werke: „Der schwarze Briefumsch­lag“, „Die Rückkehr des Hooligan“, „Oktober, acht Uhr“.
[ Mirjam Reither] Norman Manea erhält demnächst in Mexiko als erster Autor Rumäniens den mit 150.000 Dollar dotierten FIL-Preis. Werke: „Der schwarze Briefumsch­lag“, „Die Rückkehr des Hooligan“, „Oktober, acht Uhr“.

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