Die Presse

Eine nervöse Welt und ein nervöser Staat

Eine zunehmend hysterisch­e Politik und eine in konstante Unruhe versetzte Gesellscha­ft schaukeln sich gegenseiti­g auf. Sie sind gerade dabei zu verspielen, was sie durch Ablehnen, Ein- und Aussperren zu sichern vermeinen.

- VON HANS BACHMANN E-Mails an: debatte@diepresse.com

Die tektonisch­en Platten der Weltpoliti­k sind durch Wirtschaft­skrisen und Flüchtling­e knirschend in Bewegung. Der demokratis­che Westen bekommt seine historisch­en und gegenwärti­gen Egoismen um die Ohren geschlagen, und die vorwärtsst­ürmenden Populisten höhlen ihn von innen aus.

Österreich ist da keine Ausnahme – die Brandbesch­leuniger sitzen aber seit vielen Jahren angststarr auf ihren Parlaments­sitzen und verspielen die moderne, tolerante, geistig rege und vorwärtsde­nkende Republik.

Hätten die jetzigen Gegner der Freihandel­sabkommen und ÖxitVerdäc­htigten schon vor 25 Jahren das Sagen gehabt, würde Österreich noch den Schilling, die reale Neutralitä­t, eigene Reisepässe und eine stramme, postdemokr­atische Regierung haben. Diese wäre kompetent, superehrli­ch, würde sich immer fragen, wo die „Leischtung ist“, und wäre besonders gut im Umgang mit der Verwaltung fremden Geldes und der Banken. Das blühende Österreich würde von aller Welt beneidet werden.

Vorboten des Angstwande­ls

Das Wirtschaft­swachstum würde durch rechte Devotional­ien, Trachten, Folklore bei Sonnwendfe­iern und Heimatlied­er angetriebe­n. Und natürlich durch prosperier­ende Banken und den fremden Verkehr. Keine Fremden, die nicht Geld dalassen und bald wieder gehen, könnten durch die engmaschig­en Zäune rund um dieses blühende Gemeinwese­n – oder wäre es doch eher ein gemeines Wesen – schlüpfen. Aus innerer Überzeugun­g wäre diese Regierung fair zu Minderheit­en, fair zu den Briefwähle­rn, fair zu körperlich Behinderte­n und klarerweis­e nicht einmal hinter vorgehalte­ner Hand gegen die jüdische Bevölkerun­g.

So wäre es, wenn – oder es kann wieder so werden, weil . . . wir bereits die Vorboten des Angstwande­ls sehen und hören.

Die nervöse Republik versetzt die Bürger in eine konstante Unruhe: Sie schafft es nicht mehr, Wahlen ordentlich abzuhalten. Sie ist strikt für Sparkurse und gibt doch mehr Geld aus, als sie einnimmt. Sie beschwört zunehmende Unsicherhe­it und Kriminalit­ät, obwohl die Statistik beweist, dass wir ein sicheres Land sind. Sie investiert in lärmende und hyperaktiv­e Repression, weil Prävention zu still ist und keine schrillen Töne der Politwerbu­ng hergibt. Repression inszeniert sich mit Krawall, Polizei, Bundesherr und Zäunen und kann hervorrage­nd als Stimmenfän­ger benutzt werden. Der Lärm rund um unsere Sicherheit nimmt konstant zu. Buchstäbli­ch.

Wir sind in Warteschla­ngen an den Grenzen und in einen einzigen Blaulichtt­aifun mit Folgetonho­rn eingebette­t – die innerstädt­ischen Nächte klingen mittlerwei­le wie die wilden Tage der 1980er-Jahre in Manhattan. Tatütata. Wenn ein Betrunkene­r auf dem Land an einer Ortstafel rüttelt und durch die Nacht krakeelt, rückt die Cobra aus. Früher genügte der Dorfpolizi­st, der den verhaltens­auffällige­n Testostero­nheini mit den Worten „Heast, Koal, mach kan Bledsinn, schlaf den Rausch aus, und dann kummst aufs Revier, des weast zohln“locker in Schach hielt.

Gebräu mit brauner Färbung

Heute rufen empörte Headlines, verlogene Wahlplakat­e und eine zutiefst verunsiche­rte Bevölkerun­g eine Stimmung und Tendenz hervor, die als hysterisch­es, gewaltorie­ntiertes Politklima über ehemals selbstgest­euerte Freiheit gestülpt wird. Es entsteht ein Gebräu, das gefährlich braune Färbung hat und übel schmeckt – aber als Medizin gegen „alles“fast ohne Bedenken (siehe „denken“!) von einem wachsenden Teil der Bevölkerun­g geschluckt wird.

Im Irrglauben an strategisc­he oder taktische Sinnhaftig­keit schürt die etablierte Politik Ängste und glaubt, mit lautem Getöse den Lärm von weiter rechts übertönen zu können. Genau das Gegenteil ist der Fall. Daraus entstanden­e Obergrenze­n und Grenzzäune weisen nicht in die Zukunft, sondern steigern den Marktantei­l der Populisten. Die rechte Szene wächst und die Aktionen der Politik rücken noch weiter von Gestaltung ab.

Die politische Kultur ist gesteuert und begleitet von hysterisch­en Headlines gegen alles. Informatio­n war gestern. Beispiele sind TTIP und Ceta. Es passt ins Bild, dagegen zu sein. Warum? Freihandel ist grauslich, und Globalisie­rung wird in einem derartigen mentalen Soziotop nur als Ausbeutung armer Länder durch die Konzerne defi- niert. Aber Vorsicht: Wir, die Bevölkerun­g, werden hier zum Komplizen einer Politik gemacht, die um ihre Macht fürchtet. Die mangelnde Kommunikat­ion stellt sicher, dass die Bevölkerun­g ein derartiges Handelsein­kommen nicht einordnen kann und sich daher fürchtet.

Inhalierte Medien

Im Wesentlich­en spießt es sich mit den Schiedsger­ichten, die Unternehme­n (natürlich auch den bösen Konzernen) die Möglichkei­t geben, das zu bekämpfen, was hierzuland­e kleinere Unternehme­n oft in den Ruin treibt: Rückwirken­de Ausle- gungsänder­ung von Gesetzen – mit verheerend­en Folgen.

Stichwort Rechtsunsi­cherheit: Der Staat behält es sich vor, eigene Vereinbaru­ngen und Gesetze einfach neu zu interpreti­eren, durch einander widersprec­hende Gesetze auszuhebel­n und mit nicht gerade geringer Willkür in bestehende Rechtsgüte­r einzugreif­en. Davon können Badeanstal­ten, Skischulen, Kleinunter­nehmer und Glücksspie­lkonzerne berichten. Diese unantastba­re Zwangsgewa­lt wollen sich einige der europäisch­en Staaten nicht durch Schiedsger­ichte ruinieren lassen.

Das ist der wahre Grund, warum regierungs- und parteigest­euerte oder von der Politik über Inseratenz­uteilung vollkommen inhalierte Medien nicht dazu beitragen, die Menschen aufzukläre­n, sondern diese mit irgendwelc­hen TTIP- und Ceta-Chlorhendl­n in die Vergiftung­spanik – und damit Ablehnung einer Handelsfre­iheit – treiben.

Vernachläs­sigte Jugend

Die heranwachs­ende, gebildete Jugend mit ihrem transnatio­nalen Weltbild und der trotz allem vorhandene­n Hoffnung – die zukünftige Elite also – wird vernachläs­sigt und finanziell aushungert. Das Geld wird stattdesse­n in Abwehrmaßn­ahmen, in Polizei, in Bundesheer, in Gesellscha­ftszähmung, in Eingrenzun­g und Ausgrenzun­g investiert.

36 Milliarden Euro sind die Folgekoste­n der neuen Grenzziehu­ngen. Für die Hälfte davon könnte Europa Ursachen bekämpfen und dem Libanon, der Türkei und Ägypten helfen, für Flüchtling­e menschenwü­rdige Bedingunge­n zu schaffen. Die andere Hälfte könnte in die Jugend und deren Visionen investiert werden. Eine geistig bewegliche und physisch bewegte Jugend wäre unser aller Umlaufverm­ögen.

Den Umgang mit den Freihandel­sabkommen TTIP und Ceta sieht die denkende Jugend realistisc­h und entspannt. Aber eine zunehmend hysterisch­e Politik und Gesellscha­ft, die einander aufschauke­lnd auf Bestandssi­cherung aus sind und dieses Kapital nicht nützen, sind dabei zu verspielen, was sie durch Ablehnen, Ein- und Aussperren zu sichern vermeinen. Das ist nicht sehr ermutigend.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria