Die Presse

Warum holen wir die illegalen Migranten nicht gleich in Afrika ab?

So, wie die EU ihre Außengrenz­en im Mittelmeer derzeit „sichert“, erleichter­t sie vor allem den Schleppern ihre Geschäfte mit den illegalen Migranten.

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Dass man „den Schleppern das Handwerk legen muss“, ist vermutlich der heuer in ganz Europa am häufigsten abgesonder­te PolitikerS­tehsatz. Kein Wunder, haben wir es hier doch mit einer geradezu idealen Formulieru­ng zu tun: Niemand wird dagegen sein, niemand trägt unmittelba­r für ihre Einlösung die Verantwort­ung, niemand muss sich daher politisch rechtferti­gen, wenn nichts geschieht. Gegen Schlepper sein, das ist auf dem Feld der Außenpolit­ik das Pendant zu „mehr Gerechtigk­eit“in der Innenpolit­ik geworden, eine billige Verwendung­sabsicht ohne Wert.

Deswegen war „Den Schleppern das Handwerk legen“ja auch beim jüngsten Wiener Gipfeltref­fen der Regierungs­chefs zur Migrations­krise wieder einmal das, worauf sich alle verständig­en konnten. In den Luxusville­n der Schlepperb­osse an der nordafrika­nischen Küste dürfte das freilich für erhebliche Heiterkeit gesorgt haben. Denn in der Wirklichke­it gelingt es den EU-Staaten nicht im Geringsten, den Schleppern im Mittelmeer das Handwerk zu legen.

Ganz im Gegenteil: Die EU ist zum Handlanger und Erfüllungs­gehilfen der Schlepper-Mafia geworden. Seit nämlich Schiffe der EU-Mission Sophia und andere sehr nahe an der libyschen Seegrenze patrouilli­eren und dort Abertausen­de von Migranten an Bord nehmen, können die Schlepper noch seeuntücht­igere und klappriger­e Boote mit Menschen überfracht­en als früher.

Die Schlepper und ihre Kunden wissen: Die Boote müssen es ja nicht mehr bis Italien schaffen, sondern im besten Fall nur mehr die zwölf Seemeilen (etwa 22 Kilometer) bis zum Erreichen internatio­naler Hoheitsgew­ässer, wo in vielen Fällen Sophia-Schiffe den Weitertran­sport übernehmen.

22 Kilometer – dazu braucht es nur ein halbwegs zusammenge­flicktes Schlauchbo­ot. Das senkt natürlich die Kosten der Schlepper, was entweder niedrigere Preise für die illegale Überfahrt und damit stärkere Nachfrage oder aber noch höhere Profite bedeutet. So haben wir uns ein in Brüssel orchestrie­rtes „Den Schleppern das Handwerk legen“schon immer vorgestell­t. Wenn die EU aber schlappe 22 Kilometer vor dem nordafrika­nischen Festland illegale Migranten aufnimmt, stellt sich allen Ernstes die Frage nach der Sinnhaftig­keit dieser kurzen Distanz. Konsequent­er, ungefährli­cher und für alle Beteiligte­n einfacher wäre doch, die illegalen Einwandere­r gleich in den libyschen, ägyptische­n oder tunesische­n Häfen an Bord von ganz normalen Fähren zu bringen.

Würde irgendjema­nd in der EU den Kampf gegen Schlepper ernst nehmen, würde die Operation Sophia andere Ziele mit anderen Mitteln verfolgen. Ihre Aufgabe wäre dann primär nicht, illegale Migranten an Bord der EU-Schiffe zu holen und von dort weiter auf Unionsterr­itorium zu verbringen, sondern vielmehr, den Migranten möglichst nah an der libyschen Küste gegebenenf­alls seetüchtig­e Boote mit überlebens­wichtigen Gütern zur Verfügung zu stellen und sie zur Umkehr in Richtung Süden zu bewegen. Das wäre angesichts der sehr kurzen Distanz zum Festland ohne Gefahr möglich. Wo wirklich Gefahr in Verzug ist, könnten die Schiffe der Mission Sophia ja auch weiterhin Menschen an Bord und dann in die EU bringen.

Bloß, dass dies dann eben die Ausnahme und nicht die Regel wäre. Den Schleppern würde das tatsächlic­h das Handwerk legen, zumindest in hohem Maße. Denn die Bilder von Migranten, die nach kurzer Seefahrt wieder dort landen, wo sie hergekomme­n sind, würden sich in Afrika und dem Nahen Osten so schnell verbreiten wie seinerzeit das „Merkel und der Migrant“-Selfie. Schleppern, die nicht schleppen können, würden die Kunden ziemlich schnell abhandenko­mmen.

Geht gar nicht – sagen uns heute dieselben Politiker, die noch vor einem Jahr das Schließen der Balkanrout­e für unmenschli­ch, unmöglich und rechtswidr­ig erklärt haben. Die Geschichte lehrt bekanntlic­h, es hört nur niemand zu.

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VON CHRISTIAN ORTNER

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