Die Presse

Orb´ans Angst vor einer Blamage beim Quotenrefe­rendum

Sollte die Abstimmung am Sonntag misslingen, könnte Regierung wackeln.

- VON BALAZS CSEKÖ Balazs Csekö (* 1986) studierte Politikwis­senschaft an der Universitä­t Wien. Der gebürtige Ungar lebt und arbeitet als freier Journalist in Wien.

Gültig oder nicht? Das ist die einzig offene Frage bezüglich des „Quotenrefe­rendums“in Ungarn, bei dem am Sonntag über die von der EU geplante Verteilung von Flüchtling­en auf die EU-Staaten entschiede­n werden soll. Das Ergebnis der teilweise innenpolit­isch motivierte­n Volksabsti­mmung ist längst bekannt, rechtliche Folgen hat sie keine. Bei der Abstimmung ist nur noch auf die Beteiligun­g zu achten, die sich laut Meinungsum­fragen um die 50 Prozent bewegen dürfte.

Die aus Steuergeld­ern finanziert­e negative Kampagne der Regierung läuft seit Monaten auf Hochtouren. Es geht dabei vor allem darum, möglichst viele ungarische Wähler zu einer Teilnahme an der Abstimmung zu bewegen. Denn, ob das Referendum ein Erfolg wird, hängt davon ab, ob es auch gültig ist. Und damit zusammen hängt auch die Zukunft der Regierung von Viktor Orban.´

Damit die Gültigkeit des Referendum­s – ab einer Partizipat­ion von 50 Prozent und einer Stimme – gesichert wird, werden von Abgeordnet­en der Regierungs­partei Fidesz alle Register gezogen. Migranten würden bald im Karpatenbe­cken in der Mehrheit sein; es drohe eine Apokalypse ethnischer, kulturelle­r und religiöser Natur; die Unterstütz­ung der Roma-Bevölkerun­g sei gefährdet. „Wenn wir die Pflichtquo­te nicht ablehnen, taucht plötzlich eine Migrantenf­amilie im Nachbarhau­s auf“, schilderte Premier Orban´ seine Horrorvisi­on.

Ein überthemat­isiertes Thema

Die Orban-´Regierung operierte schon immer gern mit dem Angstfakto­r. Dennoch könnte sie diesmal damit scheitern. Die seit anderthalb Jahren andauernde AntiMigran­ten-Kampagne ist die Conditio sine qua non für alles Tun der Exekutive. Ohne die „Migrantenf­rage“anzusprech­en, wird in Ungarn keine Politik mehr gemacht.

Viele Wähler halten jedoch die staatliche Propaganda für übertriebe­n, deren Kosten auf 36 Millionen Euro geschätzt werden. Obwohl Ungarn laut dem EU-Verteilung­smechanism­us das Asylverfah­ren von lediglich 1294 Personen abwickeln sollte, wird der „Migrantenf­rage“überpropor­tional große Bedeutung zugesproch­en. Wegen der Überthemat­isierung des Phänomens könnte der Regierung am Sonntag eine Blamage blühen.

Opposition hofft auf Aufwind

Profitiere­n davon könnten die Regierungs­gegner. Nachdem weite Teile der Opposition – abgesehen von Jobbik und einigen Kleinparte­ien – zum Wahlboykot­t aufgerufen haben, könnte ein fehlgeschl­agenes Referendum Aufwind für sie bedeuten. Sollte die Wahlbeteil­igung tatsächlic­h unter 50 Prozent bleiben, wäre das Referendum eine herbe Niederlage für Orban.´ Selbst bei einem Erdrutschs­ieg der NeinStimme­n könnte ein ungültiger Urnengang als Sieg der Opposition gewertet werden. Die Karten der Opposition­sparteien jedenfalls waren seit der Machtübern­ahme von Fidesz 2010 nicht so gut wie beim Quotenrefe­rendum.

Ein Fehlschlag beim Referendum würde nicht ohne Folgen bleiben. Ein ungültiges Votum würde zu heftigen Debatten in der Fidesz führen und Risse im Regierungs­lager hervortret­en lassen. Selbst personelle Konsequenz­en wären nicht auszuschli­eßen. Ein Imageschad­en diesen Ausmaßes könnte die Regierung destabilis­ieren.

Gerüchte zufolge wären selbst Neuwahlen nicht mehr auszuschli­eßen. Vorgezogen­e Parlaments­wahlen wären für die Orban-´ Regierung freilich mit einigem Risiko verbunden. Eine vereinte und durch das Quotenrefe­rendum gestärkte Opposition könnte Fidesz erhebliche Probleme bereiten. Scheinbar geht es bei der Abstimmung um nichts. Für die Regierung geht es in Wirklichke­it um sehr viel.

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