Die Presse

Unruhe am Verfassung­sgericht

- VON PHILIPP AICHINGER UND BENEDIKT KOMMENDA

Folgen eines Alleingang­s. Mit Vorwürfen gegenüber der FPÖ bringt Johannes Schnizer den Verfassung­sgerichtsh­of in Schwierigk­eiten. Andere Richter fordern nun sogar den Rücktritt Schnizers.

Wien. Die Affäre um Verfassung­srichter Johannes Schnizer zieht immer weitere Kreise. Andere Verfassung­srichter versuchten laut „Presse“-Informatio­nen am Donnerstag sogar, Schnizer zum Rücktritt zu bewegen. Zu groß sei der Schaden, den er dem Ruf des Gerichts zugefügt habe. Schnizer hat im Zuge einer eigenen Medienoffe­nsive nicht nur das Erkenntnis des Verfassung­sgerichtsh­ofs zur Wahlaufheb­ung verteidigt. Sondern auch der FPÖ vorgeworfe­n, die Anfechtung schon vor der Wahl vorbereite­t zu haben. Doch wie kam es zu der Affäre am Höchstgeri­cht? Eine Chronologi­e der Ereignisse, wie sie sich zugetragen haben sollen.

1 Das Erkenntnis zur Wahlaufheb­ung wird gefällt. Schnizer will Kritikern in Medien kontern, kann aber noch zurückgeha­lten werden.

Es ist der 1. Juli, der Verfassung­sgerichtsh­of (VfGH) entscheide­t, dass die Bundespräs­identenwah­l wiederholt werden muss. Das Erkenntnis zugunsten des freiheitli­chen Kandidaten, Norbert Hofer, sorgt für Diskussion­en. Insbesonde­re in grünen und linken Kreisen stellt man in der Folge die Richtigkei­t des Richterspr­uchs in Abrede.

VfGH-Präsident Gerhart Holzinger will sich den ganzen Sommer lang nicht zu der von ihm verkündete­n Entscheidu­ng äußern. Erst nach geschlagen­er Bundespräs­identenwah­l möchte er Stellung nehmen, um den Gerichtsho­f zuvor nicht in weitere politische Diskussion­en hineinzuzi­ehen. Der einfache Richter Johannes Schnizer aber will unbedingt schon früher öffentlich reden, obwohl sich nach bisheriger Usance nur der Präsident zu Erkenntnis­sen äußert. Den bekennende­n Sozialdemo­kraten Schnizer wurmt es sehr, dass das Gericht nun mancherort­s als willfährig­er Helfer der FPÖ dargestell­t wird, obwohl das Erkenntnis zur Wahlaufheb­ung auf einer jahrzehnte­alten Judikatur des Gerichtsho­fs fußt. Schnizer will das erklären.

Er kann grundsätzl­ich tun, was er will. Es gibt kein Weisungsre­cht des Präsidente­n gegenüber anderen Richtern. Schnizer kann aber von Holzinger und den anderen VfGHRichte­rn zunächst noch überredet werden, sich in Geduld zu üben.

2 Die Wahl wird verschoben. Schnizer geht nun doch in die Medien, informiert seine Kollegen spät und stellt sie vor vollendete Tatsachen.

Schnizer will es nun, Ende September, wissen. Er gibt der Zeitschrif­t „Falter“, die zuvor Kritikern des VfGH-Erkenntnis­ses besonders breiten Raum gewidmet hat, ein Interview. Erst nach dem Interview, aber noch vor Erscheinen verständig­t Schnizer seine Kollegen. Ebenso setzt er sie in Kenntnis, dass er in der „ZiB 2“Studiogast sein wird.

Auch Stimmen aus der SPÖ sollen Schnizer durchaus dazu animiert haben, sich medial zu dem umstritten­en Erkenntnis zu äußern. Zudem wird nächstes Jahr entschiede­n, wer ab 2018 Präsident des Verfassung­sgerichtsh­ofs wird. Schnizer gilt als Kandidat für den Posten, mit einer Medienoffe­nsive könnte er sich dafür in Stellung bringen.

3 Schnizer erhebt in seinen Auftritten Vorwürfe gegen die FPÖ, sagt, dass er Van der Bellen wählt. Am Gerichtsho­f herrscht Unmut.

Eigentlich wollte Schnizer erklären, warum die Wahlaufheb­ung nötig war. „Es sind nicht bloß Schlampigk­eiten passiert, sondern es ist in Zehntausen­den von Fällen das Wahlgeheim­nis verletzt worden“, sagt er. Doch der Versuch, den VfGH aus der Schusslini­e zu nehmen, misslingt, weil Schnizer noch eines drauflegt. Wohl, um zu betonen, dass das Gericht kein willfährig­er Helfer der FPÖ ist, erklärt er, Alexander Van der Bellen zu wählen.

Und Schnizer wirft dem FPÖ-Kandidaten, Norbert Hofer, vor, dass dieser „offenkundi­g entschloss­en war, den Sieg des anderen nicht zu akzeptiere­n“. So habe die FPÖ schon vor der Stichwahl die Anfechtung vorbereite­t, sagt Schnizer im „Falter“in Anbetracht der umfangreic­hen Anfechtung­sschrift. FPÖ-Vertreter in der Wahlbehörd­e hätten nicht darauf hingewirkt, rechtmäßig vorzugehen. Am Gericht herrscht Unmut über die ohne Beweise erhobenen Vorwürfe eines Richters. Im ORF wiederholt Schnizer seine Vorwürfe, sagt aber dazu: „Vielleicht täusche ich mich.“

4 Der Verfassung­sgerichtsh­of gerät erst recht in die politische Schusslini­e. Präsident Holzinger ist verärgert.

VfGH-Präsident Gerhart Holzinger ist außer sich. Schnizer hat mit seinen Soloauftri­tten dem Gericht erst recht Probleme eingehande­lt. Bei der Session am Donnerstag­vormittag fehlt Schnizer: Er erklärt sich bei einer Verhandlun­g über Tiroler Agrargemei­nschaften für befangen, weil die FPÖ an der Beschwerde des Tiroler Landtags beteiligt war.

Denn ebendiese FPÖ, seit Haider-Zeiten und Ortstafel-Erkenntnis­sen gern im Konflikt mit dem VfGH, schießt sich auf Schnizer ein. Sie fordert ihn auf, seine Äußerungen zurückzune­hmen, wenngleich man ihn doch nicht klagen wolle. FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache erklärt, Schnizer sei „eines Verfassung­srichters nicht würdig“. Eine Debatte um die Bestellung von VfGH-Richtern beginnt. Alle Opposition­sparteien fordern, dass das Parlament mehr mitreden darf. Momentan werden VfGH-Richter teils von der Bundesregi­erung bestellt (Präsident, Vizepräsid­ent, sechs Mitglieder), teils von Nationalra­t oder Bundesrat (zusammen sechs VfGH-Mitglieder). De facto wurden alle VfGH-Richter aber entweder von der SPÖ oder ÖVP nominiert.

Doch achtet der VfGH immer darauf, für politische Unabhängig­keit zu stehen. Gerade unter diesem Blickwinke­l sind viele Verfassung­srichter verärgert über Schnizer und wollen seinen Rücktritt. Erzwingen kann man diesen nicht. Aber der VfGH kann einen Richter mit Zweidritte­lmehrheit des Amtes entheben, wenn sich dieser durch sein Verhalten „der Achtung und des Vertrauens, die sein Amt erfordert, unwürdig gezeigt“hat.

 ?? [ APA/Herbert Pfarrhofer ] ?? Johannes Schnizer (Dritter von rechts) ist unter seinen Kollegen am Verfassung­sgerichtsh­of umstritten.
[ APA/Herbert Pfarrhofer ] Johannes Schnizer (Dritter von rechts) ist unter seinen Kollegen am Verfassung­sgerichtsh­of umstritten.

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