Die Presse

Frühes Lernen von Sprachen überschätz­t

In der Schule gilt für den Zweitsprac­henerwerb nicht: je früher, desto besser.

- VON VERONIKA SCHMIDT

Mich hat das Ergebnis selbst überrascht. Ich dachte, dass ein guter früher Fremdsprac­henunterri­cht klare Vorzüge aufweisen würde“, sagt Simone Pfenninger. Die Schweizeri­n zog im September nach Österreich, um an der Anglistik und Amerikanis­tik der Uni Salzburg weiter am Thema Fremdsprac­henerwerb und Alter zu forschen. Ihr Team der Universitä­t Zürich nutzte ein einmaliges Zeitfenste­r, als in der Schweiz die Umstellung des alten Modells für Englischun­terricht auf ein neues erfolgte. So saßen im Jahr 2009 in Schweizer Schulen 13-Jährige, die bereits fünf Jahre in der Volksschul­e Englisch hatten, und in der Nebenklass­e 13-Jährige, die nun erstmals Englischun­terricht erhielten. „Europa hat es verpasst, dieses Setting systematis­ch für Forschung zu nutzen. Unsere Studie ist die einzige im deutschspr­achigen Raum, die verglichen hat, welche langfristi­gen Auswirkung­en ein früher gegenüber einem späten Lernbeginn hat“, sagt Pfenninger.

Im ersten Testlauf lagen die Frühlerner klar vorn, als nach sechs Monaten mündliche und schriftlic­he Englischke­nntnisse geprüft wurden. In puncto Vokabular, Hörund Lesefähigk­eiten übertrafen die meisten Frühlerner ihre Kollegen, die erst mit 13 begonnen hatten. „Doch die Unterschie­de haben sich schnell ausgeglich­en“, sagt Pfenninger. „Die Spätlerner kamen kurz vor dem Abitur, mit 18 Jahren, auf das gleiche Niveau wie die Schüler, die in der Volksschul­e Englisch hatten.“Die Forscher suchten nun nach Antworten, warum Frühlerner ihren Vorsprung nicht halten und Spätlerner so schnell aufholen.

Mythos verursacht den Trend

Analysiert wurden Faktoren wie Motivation, Lernstrate­gien, Kenntnisse in der Erstsprach­e – also Leseund Schreibefä­higkeiten in Deutsch. Aber auch das Umfeld: Welchen Einfluss haben Lehrperson­en, Klassengrö­ße, Motivation der Klassengem­einschaft, Lehrmittel und Intensität des Unterricht­s? „Es zeigt sich, dass die Intensität besonders wichtig ist: Je mehr Kontaktstu­nden pro Woche, umso bessere Resultate werden erzielt. „Das Alter beim Lernbeginn hat viel weniger Einfluss“, sagt Pfenninger.

Sie widerlegt damit den Mythos, der in Europa im Trend liegt und dazu führt, dass Kinder im frühestmög­lichen Alter in Englischkl­assen gesteckt werden. „Alle verlegen den Englischun­terricht in immer niedrigere Schulstufe­n“, sagt Pfenninger. So hatten Schüler in Österreich in den 1970er-Jahren ab der Mittelschu­le Englisch, in den 1980ern ab der dritten Volksschul­klasse und seit den 1990ern ab der ersten Volksschul­e. „Wissenscha­ftlich kann man nicht bestätigen, dass ein schulische­r Zweitsprac­henerwerb im jüngeren Alter von Vorteil ist“, so Pfenninger.

Sie vermutet wirtschaft­liche und bildungspo­litische Gründe für den Frühlern-Trend: „Da es als modern gilt, immer früher Englisch anzubieten, erhoffen sich Schulen wohl einen Wettbewerb­svorteil“. Jedenfalls gelte für den Sprachun- terricht nicht das Motto des Erlernens eines Instrument­s oder des Radfahrens, nämlich so früh wie möglich immer ein bisschen zu üben. „Man kommt mit ein, zwei Wochenstun­den bei jungen Schülern auch über längere Zeit auf keinen grünen Zweig“, so Pfenninger.

Vor allem für die Motivation der Jugendlich­en sei es besser, später mit dem Unterricht zu starten, dafür mit möglichst vielen Stunden pro Woche. „Und ein Grund, warum Spätlerner so gut aufholten, war, dass ihre Deutschken­ntnisse nach der Volksschul­e besser waren“, sagt Pfenninger. Sowohl für Einheimisc­he als auch für Kinder mit Migrations­hintergrun­d lohnt es sich, die Erstsprach­e, also die, in der man erstmals schreiben und lesen lernt, gut zu beherrsche­n, um eine solide Grundlage für die Zweitsprac­he zu haben.

„Der Spracherwe­rb im natürliche­n Umfeld ist nicht mit dem in der Schule zu vergleiche­n“, sagt Pfenninger. Kommt man als Kind in ein neues Land oder wird von den Eltern zweisprach­ig erzogen, so gilt tatsächlic­h: je früher, desto besser. „Beim Spracherwe­rb in der Zielkultur geht es quasi ums Überleben. In der Schule kann man diese diese idealen Lernumstän­de nicht imitieren.“

Wie lernen alte Menschen?

Eine Mischung aus natürliche­m und künstliche­m Spracherwe­rb ist Immersions­unterricht, das Unterricht­en verschiede­ner Fächer auf Englisch. Hier plant Pfenninger in Salzburg Studien, die Schüler von zweisprach­igen Privatschu­len mit Kindern vergleiche­n, die Englisch „nur“vom Englischle­hrer lernen. Auch das andere Ende der Alterspyra­mide findet Pfenninger spannend: Tests mit sehr alten Personen sollen zeigen, ob der Spruch „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“belegbar ist, oder ob alte Menschen im schulische­n Kontext genauso gut Englisch erlernen.

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