Die Presse

Schimon Peres’ Vermächtni­s: „Im Namen aller Optimisten“

Letzte Worte. Ex-Kanzler Schüssel über eine bewegende Rede, die Peres erst neulich am Comer See hielt.

- VON WOLFGANG SCHÜSSEL

Vor Kurzem fand am Comer See, wie jedes Jahr, Ambrosetti­s EuropeanHo­use-Konferenz statt. Seit Jahren war Schimon Peres, Israels Premier, Präsident und Friedensno­belpreistr­äger, dort Stammgast. Als einziger Teilnehmer durfte er immer frei entscheide­n, worüber und wie lange er reden wollte. Im Vorjahr wählte er das Thema Gehirnfors­chung, heuer sprach er über Europa – mit seiner unverwechs­elbaren Sprachmelo­die. Fasziniere­nd und tief berührend. Fast ein Vermächtni­s, wenige Tage später streckte ihn ein Schlaganfa­ll nieder; in der Nacht auf Dienstag starb dieser große Mann.

Im Folgenden fasse ich einige seiner Gedanken anhand meiner Mitschrift zusammen: Er protestier­e gleich zu Beginn seiner Rede „im Namen aller Optimisten gegen die herrschend­e pessimisti­sche Grundstimm­ung“. Die gesamte Entwicklun­g der Menschheit sei doch erfreulich. „Geschichte ist die optimistis­chste Sache unseres Lebens. Vor 10.000 Jahren gab es etwa 10 Millionen menschlich­e Vorfahren, bald werden wir 10 Milliarden sein.“Eine gewaltige, vertausend­fachte Herausford­erung! Und Europa? Lange Zeit nur ein kleiner, hassgetrie­bener Kontinent. Nach den Weltkriege­n sei Europa am Ende gewesen „und ist sich gar nicht der Erfolgsges­chichte der letzten Jahrzehnte bewusst. Euer Einkommen ist heute 50-mal höher als 1955“. (Kleiner Faktenchec­k: In der Tat ist die Wirtschaft­skraft der heutigen EU von 360 Mrd. Euro im Jahre 1960 auf heute 16.000 Mrd. Euro gewachsen; die österr. Wirtschaft immerhin von sechs auf 374 Mrd. Euro).

„Auch Israel, 1948 gegründet, startete mit nichts, bitterarm, eigentlich hoffnungsl­os. 650.000 Juden – im Norden Moskitos, im Süden die Wüste. Umringt von 50 Millionen feindliche­n Arabern, die uns zerstören wollten. Doch Israel wurde reich, eben weil wir nichts hatten – außer den Talenten, der Initiative und Innovation unserer Menschen. Wir haben die Wüste begrünt, die Ernten vervielfac­ht und massiv in Bildung und Forschung investiert.“

Ähnlich Europa: „ Selbst die Ärmsten unter euch haben heute Wasser, Nahrung, Wohnungen. Und ihr habt etwas Sensatione­lles entwickelt – ein ,collective brain‘. Der europäisch­e Traum der Wettbewerb­sfähigkeit, des sozialen Zusammenha­lts, der ökologisch­en Nachhaltig­keit lebt und wird auf der ganzen Welt geachtet. Und neuerdings beginnt eine Ära der Prognosefä­higkeit. Wir können ziemlich genau vorhersehe­n, was kommt. Leider lehren unsere Universitä­ten hauptsächl­ich Vergangene­s. Es gibt keine Schule der Zukunft. Auf die immer gleichen alten Fragen wird es aber kaum neue Antworten geben. Wer bessere Antworten sucht, muss lernen, neue Fragen zu stellen.“

„Wer gibt, gewinnt Freunde“

Im Nahen Osten beklagte Peres den bedrückend­en Zustand der dort lebenden 400 Millionen Menschen. Armut, Unterdrück­ung der Frauen, Bildungsfe­rne, Ignoranz, Korruption seien schuld daran. 60 Prozent der Bevölkerun­g seien jung, unter 25 Jahren. Nur ein kleiner Teil, ein paar Tausend, seien Terroriste­n, „aber Millionen wollen Frieden, Jobs, Bildung. Bekämpft nicht nur die Terroriste­n, sondern die Wurzeln des Terrors – Armut, mangelnde Bildung, Hoffnungsl­osigkeit.“

Und: „Die Welt von heute ist geteilt in ,givers‘ und ,takers‘. Amerika wurde groß als gebende Nation, sie schenkte der Welt viel – etwa den Marshallpl­an zum Wiederaufb­au Europas. Wer gibt, gewinnt Freunde. Und nichts ist teurer und kostet mehr als Feinde. Daher mein doppelter Protest gegen den vorherrsch­enden Pessimismu­s und die alten Fragen. Denn die Zukunft ist wichtiger als die Vergangenh­eit!“

Für mich sind diese Worte des großen Schimon Peres kostbar und eindrückli­cher als mancher Nachruf. Sie dürfen nicht vergessen werden! Wolfgang Schüssel war von 2000 bis 2007 Bundeskanz­ler Österreich­s.

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