Die Presse

Ein Fall für Christian Kern?

Verbund. Das hat in Österreich Seltenheit­swert: Im Stromkonze­rn Verbund geht der Aufsichtsr­at zusehends auf Konfrontat­ion mit dem Vorstand. Und sucht sogar Hilfe beim Bundeskanz­ler.

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Wien, Mitte Juli dieses Jahres: Im Stromkonze­rn Verbund tagt der 15-köpfige Aufsichtsr­at. Es ist eine turbulente Sitzung. Die im Konzern zuständige­n Vorstände, Wolfgang Anzengrube­r und Günther Rabenstein­er, geben dem Kontrollgr­emium Auskunft über ihre Pläne, die thermische­n Kraftwerke im steirische­n Mellach zu verkaufen – darunter auch ein recht neues, aber leider unrentabel gewordenes Gaskraftwe­rk. Drei Angebote liegen vor. Doch statt allgemeine­r Erleichter­ung hagelt es Kritik: Der Aufsichtsr­at begehrt Zahlen über die Wirtschaft­lichkeit des Standortes Mellach. Manche geben zu bedenken, dass ein „hochmodern­er Standort offenbar verschenkt werden soll“. Die Sitzung gerät zum Fiasko. Die Vorstände werden ersucht, sich für die nächste Sitzung besser vorzuberei­ten, Unklarheit­en zu beseitigen – und brauchbare Zahlen vorzulegen.

Wien, Mitte September: Im Stromkonze­rn Verbund tagt der 15-köpfige Aufsichtsr­at. Es geht wieder um den geplanten Verkauf der Kraftwerke Mellach. Die Erwartunge­n sind hoch, der Vorstand hatte ja immerhin zwei Monate Zeit, um den Wünschen in der vergangene­n Sitzung nachzukomm­en. Doch das Schauspiel von Mitte Juli wiederholt sich: Mehrere Mitglieder des Aufsichtsr­ates beklagen, dass die vorgelegte­n Zahlen nicht nachvollzi­ehbar seien. Nach der Sitzung erzählt ein Mitglied der „Presse“, dass „nicht einmal einfache Fragen beantworte­t werden konnten“. Der Vorstand bekommt den Auftrag, für die nächste Sitzung im Dezember endlich Klarheit zu schaffen.

Was sagen uns diese beiden Episoden? Eine ganze Menge.

Erstens: Das mit dem MellachVer­kauf wird schwierig, wenn nicht überhaupt unmöglich.

Zweitens: Bei dem Prozedere macht der Verbund-Vorstand eine denkbar schlechte Figur.

Und vor allem drittens: Der Verbund hat einen ziemlich toughen Aufsichtsr­at, der sich offenbar kein Blatt vor den Mund nimmt.

Vor allem Punkt drei ist höchst interessan­t, weil in Österreich höchst ungewöhnli­ch. Wir kennen das ja: Üblicherwe­ise werden in Aufsichtsr­äte – vor allem in jene teilstaatl­icher Unternehme­n – gern (politisch) berechenba­re Personen gesetzt, die Entscheidu­ngen des Vorstands brav abnicken. Im Verbund wurde mit dieser gemütliche­n Tradition gebrochen. Dort gibt es ein Kontrollgr­emium, das massiv in Konfrontat­ion mit dem Vorstand geht. In Österreich ist das so etwas wie ein Novum.

Seit April des vergangene­n Jahres ist beim Verbund jedenfalls alles anders. Da kamen nämlich etliche neue Mitglieder in das Kontrollgr­emium. Der Deutsche Michael Süß wurde Stellvertr­eter des Aufsichtsr­atspräside­nten. Ebenso Elisabeth Engelbrech­tsmüllerSt­rauß, Chefin von Fronius Internatio­nal. Neu hinzu kamen auch Wüstenrot-Chefin Susanne Riess, Unternehme­r Jürgen Roth sowie der frühere Arbeiterka­mmer-Direktor Werner Muhm.

Sie alle sind offenbar nicht auf den Mund gefallen. Riess und Engelbrech­tsmüller-Strauß haben dort mittlerwei­le den Ruf, knallharte Fragen a` la „Wo, bitte, ist die Strategie?“zu stellen. Süß soll in der letzten Sitzung für einen einigermaß­en peinlichen Moment gesorgt haben, als er dem Verbund-Vorstand vorwarf, „bloß Studien abzuschrei­ben“– und diese als Strategie zu verkaufen. Und Muhm warf dem Vorstand vor, mit dem Mellach-Verkauf „600 Millionen Euro der Republik verschenke­n zu wollen“. Ungemütlic­he Zeiten für den Verbund-Vor- stand also. Und sie könnten noch deutlich ungemütlic­her werden. Einen kleinen Vorgeschma­ck lieferte der Aufsichtsr­at schon vor wenigen Monaten. Da entlud sich der gesamte Unmut des Gremiums an Aufsichtsr­atspräside­nt Gilbert Frizberg. Für viele wohl jene Person, die dafür geradezust­ehen hat, dass die Dinge in Österreich­s wertvollst­em Unternehme­n so laufen, wie sie laufen. Nämlich suboptimal. Ein Aufsichtsr­at zur „Presse“: „Die große Strategie des Konzerns scheint darin zu bestehen, Personal abzubauen und Assets zu verkaufen.“

Frizberg steht schon seit 16 Jahren an der Spitze des Kontrollgr­emiums, er war seinerzeit von einem Freund, dem damaligen ÖVP-Wirtschaft­sminister Martin Bartenstei­n, geholt worden. Dass Frizberg nach so langer Zeit immer noch Aufsichtsr­atspräside­nt ist, ist ohnehin höchst umstritten. Dass er darüber hinaus als Unternehme­r in einem Geschäftsf­eld tätig ist, das, sagen wir, gewisse Überschnei­dungen mit jenem des Verbund-Konzerns hat, kommt auch nicht überall sonderlich gut an. Ein Umstand, den er gegenüber der „Presse“freilich vehement abstreitet: „Ich habe keine Geschäftsb­eziehungen mit dem Verbund“, sagt Frizberg.

Jedenfalls unternahm der Aufsichtsr­at im April den Versuch, Frizberg als Präsidente­n abzuwählen. Das Ziel wurde allerdings verfehlt. Eine Verbund-Sprecherin betont, dass Frizberg „einhellig“gewählt wurde, was freilich relativier­t werden muss: Es gab sieben Enthaltung­en (die gleichsam als Stimme gegen Frizberg gewertet werden können). Allerdings hatte er acht Stimmen für sich. Eine denkbar knappe Angelegenh­eit also, die er dem Faktum zu verdanken hat, dass er selbst für sich stimmte. Außerdem gab ihm auch überrasche­nderweise Werner Muhm seine Stimme – angeblich aus Gründen der Koalitions­räson.

Schnee von gestern. Mittlerwei­le gibt es ohnehin höhere Ziele. In aller Diskretion hat sich bereits ein Personenkr­eis aus Aufsichtsr­atsmitglie­dern, aber auch aus politische­n Entscheidu­ngsträgern gebildet, der personelle Veränderun­gen im Konzern herbeiführ­en möchte. Dazu gab und gibt es informelle Gespräche mit Kanzler Christian Kern, der ja vor seiner Zeit bei den ÖBB Verbund-Vorstandsm­itglied war. Er hat immer noch ausgezeich­nete Kontakte zum Verbund-Betriebsra­t.

Bei diesen Gesprächen wurde bereits sondiert, wie die politische Zuständigk­eit für den Verbund-Konzern verändert werden könnte. Nämlich: weg von ÖVP-Wirtschaft­sminister Reinhold Mitterlehn­er, hin zu Kanzler Kern. Denn nur dadurch, so der geheime Plan, könne auch wirklich durchgegri­ffen werden. Durchgreif­en? Den Verbund-„Rebellen“schwebt eine Ablöse Anzengrube­rs und Rabenstein­ers vor. Überhaupt finden sie, dass der Vorstand des Konzerns mit zwei statt mit derzeit vier Personen das Auslangen fände.

Ob sie eine Chance haben? Man wird sehen. Es wird jedenfalls turbulent bleiben.

Dafür wird schon Mellach sorgen. Die Verbund-Sprecherin betont, dass die Anbotsfris­t für die Kaufintere­ssenten auf Ende September verlängert wurde. Erst dann würden die Anbote final vorliegen – und erst dann könne der Vorstand eine Entscheidu­ng über den Standort treffen. Über diese Entscheidu­ng wiederum habe dann der Aufsichtsr­at zu befinden. „Sofern es zu einem Verkauf kommen soll“, wie sie hinzufügt.

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[ APA/Helmut Fohringer ] Verbund-Präsident Frizberg (l.) und Vorstand Anzengrube­r erleben gerade turbulente Zeiten.

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